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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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35. Lebensjahr
     
    Fast zehn Jahre sind schon verflossen seit dem Herbstmorgen, wo Mata Hari höhnisch lächelnd und stolz ihre Schritte zum Festungsgraben des Schlosses zu Vincennes lenkte ... Und doch, weit entfernt unterzugehen in der Reihe der im Kriege verurteilten Spioninnen, die heute nicht mehr sind, als ein Zug schwanker Schatten, nimmt ihre Gestalt mit jedem Tag immer deutlichere Umrisse an. Man veröffentlicht Romane über ihr Leben; man schreibt Dramen auf ihren Tod; man erörtert leidenschaftlich die Phasen ihres Prozesses; man erfindet Legenden, um ihre Geschichte noch verwickelter zu machen. Geschieht das alles nur, weil es sich um eine schöne Frau und Künstlerin handelt? ... Aber die Tichelly, Otilia Moss, Margarethe Schmidt und andere, die ihr auf dem Weg ins Gefängnis vorausgingen oder folgten, waren auch schöne Frauen. Oder geschieht es, weil sie mit selten frohem Mut in den Tod ging? Aber die Francillard war nicht weniger mutig ... Oder weil ihr Liebesleben und ihre gesellschaftlichen Intrigen höchst romanhaft waren? Doch darin übertraf sie ihre leidenschaftlichere Freundin Maroussia Destrelles um ein gut Teil. Dennoch, wer erinnert sich noch der vielen unglücklichen Hauptpersonen in der langen, langen gerichtlichen Tragödie? Für Mata Hari dagegen interessiert sich die ganze Welt. Mata Hari wird nach und nach ein Symbol; Mata Hari ist der Gegenstand eines Kultus. Warum? Wahrscheinlich weil auf ihrem Leben und auf ihrem Tode ein undurchdringliches Geheimnis ruht.
    Alles ist dunkel, alles ist verworren, alles ist rätselhaft in ihrem Tun. Aber diesmal spiele ich nicht darauf an, was Romanschriftsteller und Theaterdichter uns über ihre Abenteuer erzählen, sondern auf die Enthüllungen des offiziellen Berichts nach dem Verhör vor dem Kriegsgericht. Denn ein solcher Bericht existiert. Er ist jüngst in gedrängter Form abgefaßt worden von Massard, der 1917 die Funktionen eines Stadtkommandanten von Paris ausübte. Das Dokument beginnt so:
    »Empfängt man den Befehl, an einem Mann oder einer Frau das Todesurteil vollstrecken zu lassen, so verursacht das stets ein unangenehmes Gefühl. Der auf Mata Hari lautende Befehl erregt mich aber nicht übermäßig. Ich hatte zwei geheimen Verhören vor dem Kriegsgericht beigewohnt und wußte wie und warum die berühmte Tänzerin verurteilt worden war. Den Vorsitz des dritten Kriegsgerichts führte der vornehme Oberst Semprou, der ehemalige Chef der republikanischen Garde. Dieses Kriegsgericht hatte seinen Sitz im großen Schwurgerichtssaal im Palais de Justice. Und zwar bei strengstem Ausschluß der Öffentlichkeit. Niemand, absolut niemand konnte in den Saal dringen, ich war der einzige Offizier mit einer Ermächtigung, den Verhandlungen beizuwohnen. Die Schildwachen sperrten die Türen bis auf eine Entfernung von zehn Metern ab, und kein Geräusch von außen, auch keine Beeinflussung war imstande, die Ruhe und Würde dieser militärischen Gerichtsbarkeit zu stören, so furchtbar dem Aussehen nach, so zurückhaltend und unparteiisch im Grunde. Bevor wir beginnen, möchten wir ausdrücklich bemerken, daß, wenn wir Einzelheiten, und zwar ganz genaue, über den Gegenstand, Komödie und Tragödie, worin Mata Hari in vorderster Reihe mitgespielt hat, angeben, es uns doch unmöglich sein wird, alles zu sagen, weil es da noch Dinge gibt, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, und weil es nicht angeht, die Namen aller zu verraten, die in das Leben der Tänzerin verwickelt gewesen sind. Aber wie ich bereits zu Anfang dieser Schrift gesagt habe, die Wahrheit wird darum nicht minder enthüllt und ganz nackt vorgeführt werden, wie ja auch die Tänzerin selbst sich gern so zeigte.«
    Die von Massard vorgeführte Wahrheit, nackt? – Sagen wir lieber: verstümmelt. Als echter Soldat scheint er nur plumpe Tatsachen zu wägen, die psychologischen Nuancen, die, wenn es sich um das Belauschen und Ergründen tragisch veranlagter Seelengebilde handelt, vom Moralisten mit allergrößtem Interesse beobachtet werden müssen, schiebt er als zu flüchtig, zu dünn verächtlich beiseite. So sind für ihn das Künstlerleben der Angeklagten, ihre Liebesabenteuer, ihre Herkunft, ihre geistige Veranlagung keine Vorpunkte, die einer langen Prüfung wert wären. Die eigentlichen Triebfedern, die die Verbrechen veranlaßt haben können, fesseln kaum seine Aufmerksamkeit. »In Anbetracht dessen, daß diese Frau von den Deutschen Geld empfangen hatte«, wiederholt er

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