Mata Hari
von Madrid, im Palace-Hotel, im Ritz-Hotel, war Spionage an der Tagesordnung. Schöne Abenteuerinnen, die ebensogut französisch wie deutsch sprachen, genierten sich kaum, am hellichten Tage in die Botschaften einzudringen. »Eine Spionin!« sagte man. Und man sagte das ohne Überraschung, ohne Abscheu. Eine riesige Nachsicht herrschte teils aus Skeptizismus, teils aus Gewohnheit, immer und überall dasselbe zu hören. Obendrein konnte man in gewissen Kreisen eine krankhafte und exaltierte Sympathie feststellen für die elenden Geschöpfe, die, mit falschen Pässen ausgerüstet, unter Lebensgefahr gingen und kamen, um nach den Blutbädern, Schiffbrüchen, Katastrophen die ausgesetzten Prämien zu gewinnen. Denn jeder Angriff der Unterseeboote, jeder Sturm auf die schwachen Punkte der Front waren die Folge von irgendeiner Mitteilung des Spionagedienstes. Die militärischen Leiter allein können die tragische Bedeutung eines in unseren Augen ganz nichtssagenden Details ermessen. Daher empfinden sie nichts von dem Mitleid, das uns packt, wenn wir unerbittliche Urteile fällen hören. Man merke sich, was im Mata Hari-Prozeß einer der Richter zu Massard sagte: »Das war eine kategorische Antwort an die Person, die die Spionin H 21 zu retten versucht. Ich beglückwünsche Sie dazu. Worauf gründet dieser Mensch seine Verteidigung? Ich fühle mich zur sicheren Annahme der Schuld berechtigt nach den Beweisen, die ich in Händen gehabt habe, und nach den eigenen Geständnissen dieser verworfenen Spionin, die vielleicht mehr als fünfzigtausend der unsrigen im Felde fallen ließ, die nicht gerechnet, die infolge ihrer Angaben auf dem Meere umkamen.« Dieser haßerfüllte Ton, der alle ehrlichen Zweifler leider nicht entwaffnen kann, überrascht und erschüttert. Aber das liegt wahrscheinlich daran, daß wir uns unmöglich in die Seele dieser harten Soldaten versetzen können, die vier Jahre lang gepeinigt lebten nicht nur durch die Kugeln der feindlichen Front, sondern auch durch die Dolche, die sie drohend im Rücken fühlten. »Diese verächtlichen und blutdürstigen Geschöpfe,« sagt der Ankläger im Prozeß Mata Hari, »diese Verworfenen, die im Dunkel das Blutbad vorbereiten und sich ihrer Schönheit bedienen, um das Zerstörungswerk unserer Feinde zu fördern, verdienen nur den Tod; das sind teuflische Kreaturen und Megären.« Als diese Worte gesprochen wurden, wird die Tänzerin sicher am meisten entsetzt gewesen sein, und zwar deshalb, weil in ihr, ebenso wie in den meisten berufsmäßigen Spionen zu solchen Leidenszeiten, eine Art Gewissenlosigkeit herrschte, die ihr nicht erlaubte, die unheilvolle Tragweite ihres Tuns richtig abzuschätzen. Ihrer krankhaften und perversen Neugierde ist das Ausforschen der Heldenseelen, die, zwischen zwei Schlachten, in ihrem Schlafzimmer ein wenig Vergessen suchten, nur ein ihrer Eitelkeit und ihrem Abenteuerinstinkt höchst willkommenes Spiel gewesen. Sie blieb unfähig, die Folgen ihrer Handlungsweise zu ermessen. Es schmeichelte ihr zweifellos, daß die Leiter des deutschen Spionagedienstes in Madrid ihr sagten, sie wäre die einzige Frau, die wichtige französische Persönlichkeiten zwingen könnte, ihre Dienstgeheimnisse preiszugeben. Es gefiel sicher ihrer Eigenliebe, wenn ihrer Schönheit zugestanden wurde, die verwegensten Krieger in girrende Seladons zu verwandeln, die ihr dann, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ganze Provinzen verrieten. Sehr stolz war sie darauf, daß sie es verstand, ihre Manöver allen zu verbergen. Hätte aber eine ernste Stimme, unmittelbar nachdem ein Fliegerkadett oder ein Minister-Naivling sie verlassen, ihr ins Ohr geraunt, wieviel Schmerzen, Tränen und Trauer sie durch Preisgabe der erlisteten Geheimnisse heraufbeschwor, sie würde ihr Verhalten sicher abscheulich gefunden haben. Mehr noch: hätte sie ihre Verbrechen nackt vor sich sehen können, ihre Bestürzung wäre sicher unermeßlich groß und schmerzlich gewesen. Um das zu verstehen, möge man sich der Zeugenaussagen erinnern, die ihre Dienerschaft gemacht hat. »Sie war sehr gut, sehr freigebig, sehr mildtätig, sie hatte für das Unglück anderer stets ein Herz.« So lauten die Worte dieser Leute. Und ihre Geliebten, selbst wenn sie Opfer ihres intimen Betruges geworden sind, müssen anerkennen, daß sie eine kühne, vornehme Frau war, allerdings von ungestümem Charakter und wechselnder Laune, aber stets fähig zu Liebe und Wohlwollen.
Vor dem Kriegsgericht
Im
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