Mathias Sandorf
aufzufinden und zu diesem Zwecke mußte Carpena gezwungen werden, zu sagen, was er von Sarcany und seinen Genossen wußte. Da der Spanier, zur Galeerenarbeit verurtheilt, in das Präsidio von Ceuta gebracht worden war, so mußte er dort aufgesucht werden, denn nur hier konnte man sich mit ihm in Verbindung setzen.
Ceuta ist eine kleine befestigte Stadt, ein Gegenstück zu dem englischen Gibraltar; sie liegt auf den östlichen Abhängen des Berges Hacho und Angesichts ihres Hafens manövrirte noch am besagten Tage gegen neun Uhr Morgens in der Entfernung von weniger als drei Meilen von der Küste unsere Yacht.
Es gibt im ganzen Mittelmeer keinen belebteren Punkt als diese Stelle, welche der Mund dieses Meeres genannt werden muß. Dort empfängt es die Gewässer des Atlantischen Oceans. Hier hinein segeln die Tausende von Schiffe, die aus dem nördlichen Europa und den beiden Amerikas kommen und welche in die hunderte von Häfen dieses ungeheuren Bassins das vielgestaltige Leben bringen. Dort hinein und hinaus dampfen die großen transatlantischen Dampfer und die Kriegsschiffe, welchen das Genie eines Franzosen einen Hafen im indischen Ocean und in der Südsee geöffnet hat. Es giebt schwerlich etwas Malerischeres als diese schmale Wasserstraße, welche durch die so verschieden geformten Gebirge führt. Im Norden zeichnen sich die Umrisse der Sierras von Andalusien ab. Im Süden, auf der prächtig ausgezackten Küste, vom Kap Spartel an bis zum Vorgebirge Almina ragen die schwarzen Hörner der Bullonen, der Affenberg, die höchsten Gipfel der »sieben Brüder« empor. Zur rechten und zur linken Seite erscheinen malerische Städte, so Tarifa, Algesiras, Tanger, Ceuta; sie bauen sich im Hintergrunde der Buchten auf und werden von den untersten Stufen der Gebirge flankirt; ihre Häuserreihen dehnen sich über die niedrig gelegenen Ufer aus, zu deren Schutz die riesigen Felsenmauern hinter ihnen emporstreben. Zwischen diesen beiden Gestaden, unter den Kielen der dahinsausenden Dampfer, deren Curs weder Wasser noch Wind aufhält, unter dem Tuch der Segelschisse, welche die westlichen Winde mitunter zu hunderten an der Mündung in den Atlantischen Ocean festhalten, entwickelt sich eine buntfarbige, stets wechselnde Wasserfläche, hier erscheint sie grau und aufrührerisch, dort blau und ruhig und durchfurcht von den Kämmen, welche die Linie der Gegenströmungen mit ihren durchbrochenen Zick-Zacks markiren. Kein Mensch kann dem Reize dieser erhabenen Schönheiten gegenüber unempfindlich sein, welche die beiden Erdtheile, Europa und Afrika, in dem Doppelpanorama der Meerenge von Gibraltar, von Angesicht zu Angesicht entfalten.
Der »Ferrato« näherte sich schnell der afrikanischen Küste. Die gekrümmte Bai, in deren Hintergrunde Tanger sich verbirgt, schloß sich bereits, während der Felsen von Ceuta um so sichtbarer wurde, je mehr die Küste jenseits des Golfes von Tanger eine Wendung nach Süden machte. Man sah ihn sich nach und nach isoliren, gerade wie ein umfangreiches Eiland, das am Fuße eines Kaps auftaucht und durch einen schmalen Isthmus an das Festland gefesselt wird. Oberhalb, in der Gegend des Gipfels des Hacho-Berges, erschien eine kleine Schanze; sie ist aus einer römischen Citadelle entstanden und in ihr sind unablässig Beobachtungsposten zu finden, welche den Auftrag haben, die Meerenge und namentlich das marokkanische Gebiet zu überschauen, in welchem Ceuta nur eine Enclave bildet.
Um zehn Uhr Morgens warf der »Ferrato« im Hafen oder vielmehr zwei Ankerlängen vor dem Landungsquai, den die Wogen in ihrer vollen Breite und mit ihrem ganzen Ungestüm peitschen, die Anker aus. Ceuta besitzt nur eine forensische Rhede, welche der Brandung des Mittelländischen Meeres ausgesetzt ist. Glücklicherweise finden die Schiffe, da sie westlich nicht ankern können, einen zweiten Ankerplatz auf der anderen Seite des Felsens, der ihnen vor den Landwinden Schutz gewährt.
Sobald die Sanitätsbehörde an Bord gewesen, die Papiere oberflächlich eingesehen worden waren, ließ sich der Doctor, begleitet von Peter, in der ersten Mittagsstunde auf das Festland bringen; er landete an einem kleinen Quai, am Fuße der Stadtmauer. Daß das Ziel dieser Reise darauf hinauslief, sich Carpena’s zu bemächtigen, unterlag keinem Zweifel. Doch wie wollte der Doctor es erreichen? Er wußte es vorläufig selbst nicht, darüber wollte er sich erst nach Inspicirung der Oertlichkeit entscheiden und es schließlich den
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