Mathias Sandorf
durchmaßen den Zwischenraum, der sie von dem Basaltwalle trennte und tauchten wieder auf der Plateaufläche auf.
Nicht einen Schuß feuerte man in der Casa ab, während sie bis hierher vordrangen. Zirone folgerte daraus mit Recht, daß die Munition den Belagerten auszugehen drohte.
So groß war die Wuth, daß sie diesmal den Eingang zur Thür und zum Fenster erzwangen und sie hätten ganz gewiß das Hans erstürmt, wenn nicht eine neue Salve fünf oder sechs Mann getödtet haben würde. Sie mußten bis an den Fuß des Plateaus zurückweichen; doch auch zwei Matrosen waren so schwer verwundet worden, daß sie den Kampf aufgeben mußten.
Vier bis fünf Schuß für den Mann blieben nur noch den Vertheidigern der Casa Inglese. Unter diesen Umständen wurde selbst der Rückzug bei hellem lichten Tage unmöglich. Sie fühlten, daß sie verloren wären, wenn ihnen nicht rechtzeitig Hilfe würde. Doch woher sollte eine solche Hilfe kommen?
Man konnte unglücklicher Weise nicht darauf rechnen, daß Zirone und seine Genossen von ihrem Vorhaben abstehen würden Es waren ihrer immer noch vierzig Räuber, wohlbewaffnet und unversehrt. Sie wußten, daß man ihre Schüsse bald nicht würde erwidern können und versuchten einen abermaligen Sturm.
Plötzlich rollten enorme Felsblöcke von der Höhe des Plateaus wie die Steine einer Lawine hernieder und zerschmetterten drei Räuber, die ihnen nicht schnell genug ausweichen konnten.
Kap Matifu war es, der die Basaltfelsen heranrollte, um sie von der First des Piano del Lago herabzuwerfen.
Doch dieses Vertheidigungsmittel konnte nicht lange vorhalten. Das Material mußte bald zu Ende gehen. Es hieß also, unterliegen oder Hilfe von draußen herbeiholen.
Pointe Pescade hatte eine Idee, doch wollte er sie dem Doctor nicht mittheilen, weil er fürchtete, dieser würde ihm die Erlaubniß verweigern, sie auszuführen. Er theilte sie daher Kap Matifu mit.
Er wußte aus der Rede, die Benito in der Locanda von Santa Grotta gehalten hatte, daß eine Abtheilung Gensdarmen sich in Cassone befand. Um dorthin zu gelangen, gebrauchte man eine Stunde, eine ebenso lange Zeit zum Rückwege. Sollte es nicht möglich sein, dieses Detachement zu benachrichtigen? Ja, wenn es gelang, sich durch die Belagerer hindurchzustehlen und sich sofort nach Westen in das Gebirge hineinzuschlagen.
»Ich muß durchkommen und ich werde durchkommen, sagte Pointe Pescade zu sich selbst. Zum Teufel! Man ist entweder Clown oder man ist es nicht!«
Und er machte Kap Matifu mit dem Mittel bekannt, welches er zur Herbeiholung von Hilfe in Anwendung bringen wollte.
»Du riskirst aber…, meinte Kap Matifu bedenklich.
– Ich will es!«
Kap Matifu würde nie gewagt haben, Pointe Pescade zu widersprechen.
Beide gingen einer Stelle rechts von der Casa Inglese zu, woselbst der Schnee sich in großen Massen aufgethürmt hatte.
Zehn Minuten später, während der Kampf hinüber und herüber tobte, erschien Kap Matifu wieder, er trieb einen mächtigen Schneeball vor sich her. Inmitten der Felsblöcke, welche die Matrosen auf die Stürmenden herabsandten rollte auch die Schneemasse den Abhang hinab, sie fuhr durch die Räuberbande und blieb einige fünfzig Schritte weiter unten in einer Höhlung des Terrains liegen.
Der halb durch den Sturz geborstene Ball öffnete sich vollends und erlaubte einem flinken, lebendigen, »etwas boshaften Wesen«, wie es von sich selbst sagte, hervorzuschlüpfen.
Pointe Pescade war es. Eingeschlossen in diese Schildkrötenschale von hartem Schnee hatte er es gewagt, sich den Abhang herunterrollen zu lassen, auf die Gefahr hin, in irgend einen Abgrund zu stürzen. Jetzt war er frei und sprang behend die Fußpfade durch das Gebirge in der Richtung nach Cassone hinab.
Die Uhr zeigte jetzt eine halbe Stunde nach Mitternacht.
Der Doctor, der Pointe Pescade nicht mehr sah, fürchtete schon, er wäre verwundet worden. Er rief nach ihm.
»Fort! sagte Kap Matifu.
– Fort?
– Ja!… Er will Hilfe holen.
– Wie entkam er?
– Als Schneeball.«
Kap Matifu erzählte was Pointe Pescade gethan.
»Der tapfere Mensch! rief der Doctor. Muth, Freunde!… Sie sollen uns doch nicht bekommen, diese Banditen!«
Und die Steine klapperten weiter auf die Belagerer nieder. Doch dieses neue Vertheidigungsmittel drohte jetzt ebenso auszugehen wie das frühere.
Gegen drei Uhr Morgens mußten der Doctor, Peter, Luigi und Kap Matifu, gefolgt von ihren Leuten, welche die Verwundeten mit sich führten, das
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