Mathias Sandorf
dem Verlassen von Tetuan geflüchtet. Tripolitaner von Geburt, war es nur natürlich, daß er in sein Heimatland, auf den Schauplatz seiner ersten Versuche, zurückkehrte. Wie man nicht vergessen haben wird, war er überdies mit der furchtbarsten Secte Nordafrika’s sehr bekannt, er wußte also, daß er bei den Senusisten, deren Agent in der Fremde behufs Beschaffung von Waffen und Munition er zu sein nie aufgehört hatte, ausreichenden Schutz finden würde. Deshalb hatte er sich auch sofort nach seiner Ankunft in Tripolis in dem Hause des Moyaddems Sidi Hazam, des wohlbekannten Chefs der Sectenbrüder dieses Districtes, einquartiert.
Sarcany hatte nach der Aufhebung von Silas Toronthal auf der Landstraße von Nizza – ein Vorgang, der ihm völlig räthselhaft geblieben war – sofort Monte Carlo verlassen. Die von dem letzten Gewinne erübrigten wenigen tausend Franken – er gebrauchte die Vorsicht, sie nicht als allerletzten Einsatz auf’s Spiel zu setzen – hatten hingereicht, um die Kosten der Reise zu decken und den Eventualitäten vorzubeugen, vor denen er zunächst Front machen mußte. Es stand in der That zu befürchten, daß der zur Verzweiflung gebrachte Silas Toronthal sich gedrängt fühlte, sich an ihm zu rächen, entweder dadurch, daß er Sarcany’s Vergangenheit enthüllte oder Sarah’s Lage verrieth. Denn der Banquier wußte wohl, daß diese in Tetuan, in den Händen Namir’s, sich befand. Daraus entsprang Sarcany’s Entschluß, Marokko in kürzester Frist zu verlassen.
Es war das klug gehandelt, weil Silas Toronthal nicht zögern würde, zu sagen, in welchem Lande und in welcher Stadt das junge Mädchen unter der Obhut der Marokkanerin zurückgehalten werde.
Sarcany beschloß deshalb, in die Regentschaft von Tripolis sich zurückzuziehen, woselbst ihm sowohl Actions-als Vertheidigungsmittel zu Gebote
Auf den Papierresten… (S. 509.)
stehen mußten. Sich dorthin mittelst der Packetboote der Küste oder mittelst der algerischen Eisenbahnen begeben, hieß aber – wie der Doctor ganz richtig vermuthet hatte – zuviel Gefahr laufen. Er zog es daher vor, sich einer Senusisten-Karawane anzuschließen, welche in die Cyrrhenäische Halbinsel zog und aus neu angeworbenen Mitgliedern aus den größten Vilajets von Marokko, Algerien und der tunesischen Provinz bestand. Diese Karawane, die in Eilmärschen zwischen Tetuan und Tripolis fünfhundert Meilen zurückzulegen hatte, indem sie der nördlichen Grenze der Wüste folgte, brach am 12. October auf.
Jetzt befand sich Sarah vollständig in der Macht ihrer Peiniger. Ihr Entschluß war aber trotzdem ein unerschütterlicher geblieben. Weder die Drohungen Namir’s, noch die Wuthausbrüche Sarcany’s hatten auf sie Eindruck machen können.
Beim Aufbruche von Tetuan zählte die Karawane bereits fünfzig Mitglieder oder Khuans; sie standen unter der Oberleitung eines Imam, der sie militärisch organisirt hatte. Die Provinzen, welche der französischen Regierung unterworfen waren, wurden übrigens sorgfältig umgangen, um ja keine Schwierigkeiten hinsichtlich des Durchzuges zu haben.
Der afrikanische Continent bildet in Folge der Küstenbildung der algerischen und tunesischen Gebiete einen Bogen bis zur Westküste der großen Syrte, die jäh nach Süden abfällt. Es folgt daraus, daß die directeste Straße, um von Tetuan nach Tripoli zu gelangen die ist, welche die Sehne dieses Bogens bildet und die im Norden nicht höher als bis nach Laghuat steigt, einer der äußersten Städte unter französischer Hoheit an der Grenze der Sahara.
Die Karawane zog zuerst nach dem Verlassen des marokkanischen Gebietes an der Grenze der reichen Provinzen Algeriens entlang, welche man das »neue Frankreich« nennt und die in Wirklichkeit Frankreich selbst vorstellen – mit mehr Berechtigung als Neu-Kaledonien, Neu-Holland, Neu-Schottland Schottland, Holland und Kaledonien vorstellen, weil die afrikanischen Provinzen Frankreichs nur dreißig Stunden zu Wasser von diesem selbst entfernt sind.
In Beni-Mutan, in Oulad-Mail, Scharfat-El-Hamel verstärkte sich die Karawane durch eine ziemliche Anzahl von Bundesbrüdern. Ihre Theilnehmerzahl belief sich auf mehr denn dreihundert Menschen, als sie die tunesische Grenze am Ende der großen Syrte erreichte. Sie brauchte jetzt nur noch dem Zuge der Küste zu folgen und kam, während sie sich in den verschiedenen Ortschaften der Provinz durch neue Khuans verstärkte, am 20. November, nach einer sechswöchentlichen
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