Mathias Sandorf
bemerken, die in möglichst einfache Gewänder gehüllt waren und sich nur mittelst eines freimaurerischen Zeichens die Befehle ihrer Führer mittheilten.
Es ist hier der geeignete Platz, das orientalische oder vielmehr afrikanische Märchen kennen zu lernen, dessen Hauptereignisse durch dieses Fest der Störche veranschaulicht werden sollen, welches auf die Muselmannen einen Hauptreiz auszuüben pflegt.
Es existirte ehedem auf dem afrikanischen Continent eine Rasse der Djins. Unter dem Namen der Bu-lhebrs bewohnten diese Djins ein mächtiges Gebiet, welches auf der Grenze der Wüste Hammada, zwischen Tripolis und dem Königreich von Fezzan gelegen war. Sie bildeten ein mächtiges Volk, das ebenso furchtbar war als es gefürchtet wurde. Denn es war ungerecht, treulos, unmenschlich und kriegslustig. Noch kein afrikanischer Herrscher hatte es zu unterjochen vermocht.
Eines Tages geschah es, daß der Prophet Suleyman versuchte, nicht die Djins anzugreifen, sondern sie zu bekehren. Zu diesem Zwecke sandte er ihnen einen Apostel, der ihnen die Liebe zum Guten, den Haß des Bösen predigen sollte. Verlorene Mühe! Die wilden Horden bemächtigten sich des Missionärs und nahmen ihn gefangen.
Die Djins zeigten deshalb sich so außerordentlich kühn, weil sie wohl wußten, daß in ihr isolirt gelegenes und schwer zugängliches Land kein König mit seinem Heere sich wagen würde. Sie glaubten überdies, daß kein Bote den Propheten Suleyman unterrichten würde, welches Schicksal sein Sendling gefunden hatte. Sie täuschten sich darin.
In ihrem Lande gab es eine Unmenge Störche. Das sind, wie man weiß, wohlgesittete Thiere, außerdem sind sie äußerst intelligent und sehr zartfühlend, denn die Sage behauptet, daß sie niemals ein Land bewohnen, dessen Name auf einem Geldstücke figurirt – das Geld ist nämlich die Quelle jedes Uebels und der mächtigste Verführer des Menschen zu schlechten Leidenschaften.
Die Störche, die wohl sahen, in welchem Unglauben die Djins lebten, beriefen eines Tages eine Rathsversammlung und beschlossen einen aus ihrer Mitte zum Propheten Suleyman zu schicken, um die Mörder des Missionärs seiner gerechten Rache zu empfehlen.
Alsbald befahl der Prophet seinem Wiedehopf, der sein Lieblingsbote war, alle Störche der Erde in den hohen Luftschichten des afrikanischen Himmels zu versammeln. Das geschah und als die unzähligen Geschwader dieser Vögel vor dem Propheten Suleyman vereinigt waren, »bildeten sie,« so sagt die Legende wörtlich, »eine Wolke, die das ganze Land zwischen Mezda und Morzug beschattet haben würde.«
Darauf nahm jeder Storch einen Stein in seinen Schnabel und flog dem Lande der Djins zu. Darüber hinstreichend steinigten sie diese gemeine Menschenrasse, deren Seelen jetzt für die Ewigkeit auf dem Grunde der Wüste Hammada eingekerkert sind.
Das ist das Märchen, welches das Fest der Störche veranschaulichen sollte. Mehrere hunderte von Störchen waren unter mächtigen Netzen, die über die Oberfläche der Ebene von Sung-Ettelateh gespannt waren, vereinigt worden. Dort erwarteten sie, meistens auf einem Beine stehend, die Stunde ihrer Befreiung und das Klappern ihrer Kinnbacken drang oft wie Trommelwirbel durch die Lüfte. Sobald das Zeichen gegeben war, sollten sie aufsteigen und unter dem Geheul der Zuschauer,
Die Reiter entluden ihre langen Flinten… (S. 521.)
dem betäubenden Lärm der Instrumente, Flintenfeuer und beim Aufleuchten der vielfarbigen Fackeln unschädliche Steine aus fester Erde auf ihre Getreuen fallen lassen.
Pointe Pescade kannte das Programm dieses Festes und dieses Programm hatte in ihm den Gedanken rege gemacht, eine Rolle in demselben zu spielen. Er konnte unter solchen Umständen am Leichtesten in das Innere des Hauses Sidi Hazam’s dringen.
Sobald die Sonne untergegangen war, gab ein auf der Festung Tripoli gelöster Kanonenschuß das von den Massen auf Sung-Ettelateh sehnsüchtig erwartete Signal.
Der Doctor, Peter und Luigi wurden zuerst halb betäubt von dem, das Trommelfell zerreißenden, ringsherum sich erhebenden Lärm, dann fast geblendet von den tausenden von Lichtern, die auf der ganzen Ebene erglänzten.
Als der Kanonenschuß fiel, war die ganze Menge der Nomaden noch mit der Zurichtung ihres Abendbrotes beschäftigt gewesen. Hier gab es gerösteten Hammel und gekochte Hühner für die, welche Türken waren oder als solche erscheinen wollten; dort Kuskussu für die wohlhabenderen Araber; für die große
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