Mathias Sandorf
fünf Europäer, die den Fuß in die Regentschaft von Tripolis setzten, sondern fünf Orientalen, deren Kleidung in keiner Weise Aufmerksamkeit erregen konnte. Vielleicht würden sich Peter und Luigi in Folge mangelnder Gewohnheit in den Augen eines sorgfältigen Beobachters leicht verrathen haben. Pointe Pescade und Kap Matifu jedoch, die im Kostümwechsel bewandert waren, wie ihn der Seiltänzerberuf in vielgestaltiger Weise mit sich bringt, setzte diese Maskerade in keiner Weise in Verlegenheit.
Der »Electric« verbarg sich, als die Nacht angebrochen war, auf der anderen Seite des Hafens, in einer der wenig bewachten Buchten des Ufers. Dort sollte er sich bereit halten, zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht in See gehen zu können. Der Doctor und seine Gefährten stiegen nach ihrer Landung die felsigen Uferpartien hinan und betraten nach Ueberschreitung des aus groben Blöcken hergestellten Quais, der nach Bab-el-Bahr führt, durch das Meerthor die engen Straßen der Stadt. Das erste Hotel, auf welches sie stießen – die Auswahl war überhaupt keine große – schien ihren Bedürfnissen während eines Aufenthaltes von einigen Tagen, wenn nicht nur von wenigen Stunden, vollkommen zu genügen. Sie gaben sich daselbst das Ansehen anspruchsloser Leute, von einfachen tunesischen Kaufleuten, die bei ihrem Aufenthalte in Tripoli die Gelegenheit, das Fest der Störche mitanzusehen, wahrnehmen wollten. Da der Doctor das Arabische ebenso correct wie die anderen Idiome am Mittelmeere sprach, so konnte seine Sprache kaum den Verräther spielen.
Der Hotelier empfing die fünf Reisenden, welche ihm die große Ehre, bei ihm vorzusprechen, zu Theil werden ließen, mit Auszeichnung. Er war ein dicker, geschwätziger Mann. Der Doctor, der ihn anfeuerte zu erzählen, hatte bald gewisse Dinge, die ihn besonders interessirten, von ihm erfahren. Er hörte zunächst, daß jüngst eine Karawane von Marokko in Tripoli angelangt wäre; ferner erfuhr er, daß der in der Regentschaft sehr bekannte Sarcany dieser Karawane sich angeschlossen hätte und der Gastfreund im Hause Sidi Hazam’s wäre.
Deshalb hatten sich am selben Abend noch der Doctor, Peter und Luigi unter Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln, um nicht erkannt zu werden, unter die Nomadenmassen gewagt, die auf der Ebene von Sung-Ettelateh lagerten. Auf ihrem Spaziergange jedoch beobachteten sie genau das Haus des Moqaddem am Saume der Oase von Mendschje.
Dort also war Sarah Sandorf eingeschlossen. Seit des Doctors Aufenthalte in Ragusa waren Vater und Tochter nie wieder so dicht beieinander gewesen, wie jetzt. Aber eine unüberschreitbare Mauer trennte sie. Peter hätte, um sie zu befreien, zweifellos Allem beigestimmt, selbst einem Vergleiche mit Sarcany. Graf Mathias Sandorf und er wären gern bereit gewesen, das Vermögen fahren zu lassen, welches der Schuft zu erlangen wünschte. Sie durften aber nicht vergessen, daß sie gleichzeitig auch an dem Verräther Stephan Bathory’s und Ladislaus Zathmar’s Vergeltung zu üben hatten.
Jedenfalls boten in der Lage, in welcher sie sich augenblicklich befanden, ein Festnehmen Sarcany’s und die Entführung Sarah’s aus dem Hause des Sidi Hazam fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Eine Entführung mit Gewalt mußte mißglücken; würde das Unternehmen, mit einer List ausgeführt, besser glücken? Würde das Fest am folgenden Tage die Ausführung ermöglichen? Man nahm es an und mit diesem Plane beschäftigten sich der Doctor, Peter und Luigi noch am selben Abend – einem Plane, der dem Gehirn Pointe Pescade’s entsprungen war. Der tapfere Kerl konnte bei der Ausführung desselben sein Leben einbüßen; selbst wenn es ihm gelang, in die Behausung des Moqaddem zu dringen, würde es ihm schwer möglich sein, Sarah Sandorf zu befreien. Seinem Muthe und seiner Geschicklichkeit aber schien nichts unmöglich.
Behufs Ausführung des gutgeheißenen Planes fanden sich deshalb am folgenden Abend der Doctor Antekirtt, Peter und Luigi auf der Ebene von Sung-Ettelateh ein, während Pointe Pescade und Kap Matifu sich zuhause auf die Rollen vorbereiteten, welche sie auf dem Feste der Störche zu spielen gedachten.
Bis zu dieser Stunde hatte sich auf dem Festplatze noch nichts ereignet, was den Lärm und das Gewühl ahnen lassen konnte, die später am Abend beim Scheine unzähliger Fackeln die Ebene beherrschen sollten. Man konnte kaum inmitten der gedrängten Massen das Gehen und Kommen der senusistischen Parteigänger
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