Mathias Sandorf
den einfachen, leinenen Mantel, unter dem sich ihr bloßer Körper zeigt, die Wohlhabenden tragen die Jacke und das breite Beinkleid der Araber, die Reichen kostbaren, weiß und blau carrirten Schmuck auf einem zweiten Gazemantel, auf dem die leuchtende Seide sich mit dem Matt der Wolle über dem mit goldenen Flittern besetzten Hemde mischt.
Doch nicht Tripolitaner allein bewegten sich auf der weiten Ebene. An den Ausgängen der Hauptstadt drängten sich Kaufleute aus Ghadames und Sokna mit dem Gefolge ihrer schwarzen Sclaven; ferner Juden und Jüdinnen der Provinz; sie zeigten unverhüllte, schmutzige Gesichter nach der Sitte des Landes und waren in wenig geschmackvoller Form »behost«; sodann Neger; sie waren aus einem benachbarten Orte gekommen und hatten ihre elenden Kabachen aus Binsen und Palmen verlassen, um Theil an dieser öffentlichen Lustbarkeit zu nehmen – ihre Kleidung zeichnete sich weniger durch den Aufwand an Leinen, als vielmehr an Schmucksachen, dicken Kupferarmringen, Halsketten mit Muschelwerk, »Rivieren« von Thierzähnen, silbernen Ringen in den Ohrläppchen und Nasenknorpeln aus; schließlich Benulier, Awagnjer, aus dem Küstenlande der großen Syrte stammend, denen die Dattelpalme ihres Landes Wein, Früchte, Brod und Näschereien liefert. Inmitten dieser Ansammlung von Mauren, Berbern, Türken, Beduinen und selbst von »Mußafirs«, das heißt Europäern, promenirten Paschas, Scheiks, Kadis, Kaïds, alle Edelleute der Ortschaft; sie spalteten die Menge der Raayas, die sich demüthig und vorsichtig vor dem blanken Säbel der Soldaten oder dem Polizistenstocke der Zaptiehas öffnete, wenn mit seiner erhabenen Gleichgiltigkeit der Generalgouverneur dieser afrikanischen Provinz des türkischen Reiches, deren Verwaltung vom Sultan selbst abhängt, vorüberschritt.
Während man mehr als eine Million fünfmalhunderttausend Einwohner auf Tripoli rechnet, nebst sechstausend Mann Soldaten, besitzt die Stadt Tripolis für sich allein höchstens nur zwanzig-bis fünfundzwanzigtausend Seelen. An jenem Tage aber konnte man dreist behaupten, daß die Bevölkerung durch den Zufluß der Neugierigen, die von allen Seiten des Festlandes hergeströmt waren, sich verdoppelt hatte. Diese »Landleute« hatten allerdings kein Unterkommen in der Hauptstadt der Regentschaft selbst gesucht. Weder die Häuser, deren schlechte Baumaterialien sie bald in Trümmer fallen lassen, noch die engen, pflasterlosen, gewundenen Straßen – man könnte sie fast himmellose nennen –, noch das an den Molo grenzende Stadtviertel, in welchem sich die Consulate befinden, noch der westliche Theil, wo die Juden ansässig sind, noch die für die Bedürfnisse der muselmännischen Rasse ausreichenden sonstigen Theile der Stadt wären, innerhalb der wenig elastischen Mauern der Umwallung, einem solchen Völkerstrome gewachsen gewesen.
Die Ebene von Sung-Ettelateh jedoch war groß genug für die Menge der Zuschauer, die zu dem Feste der Störche, dessen Andenken noch immer in den orientalischen Ländern Afrikas in Ehren gehalten wird, zusammengeströmt war. Diese Ebene – ein gelbsandiges Stück der Sahara, welche das Meer vielfach bei Ostwind überfluthet – umgibt die Stadt auf drei Seiten und mißt in der Breite ungefähr einen Kilometer. An ihrem südlichen Ende entwickelt sich – ein wundersam berührender Gegensatz – die Oase der Mendschjeh mit dem blendenden Weiß ihrer Bauten, ihren Gärten und Orangen-, Citronen-, Dattelbäumen, den Massen ihrer grünenden Gesträuche und Blumen, ihren Antilopen. Gazellen, Flamingos – eine riesige Enclave, auf der sich eine Bevölkerung von mindestens dreißigtausend Einwohnern vorfindet. Jenseits der Oase beginnt die Wüste, die mit keinem anderen ihrer Endpunkte dem Mittelmeere so nahe kommt wie hier; die Wüste beginnt dort mit ihren wandernden Dünen, ihrem unendlichen Sandteppiche, auf dem, wie Baron von Krafft sagt, »der Wind ebenso wie auf dem Meere Wellen formt«, das lybische Meer, dem selbst die aus undurchdringlichem Staube sich bildenden Nebel nicht fehlen.
Tripolis – ein fast ebenso großes Gebiet, wie Frankreich selbst ist, umfassend – breitet sich zwischen der Regentschaft von Tunis, Aegypten und der Sahara aus und nimmt über dreihundert Kilometer des Gestades des Mittelländischen Meeres ein.
In diese Provinz, eine der am wenigsten bekannten Nordafrikas, in der man vielleicht am allerlängsten sich allen Nachforschungen entziehen kann, hatte sich Sarcany nach
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