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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Fischer von Santa Mazza hatte nicht das Versprechen vergessen, welches er sich selbst gegeben: Leben um Leben! Er hatte einem Manne das Leben genommen, einem anderen wollte er es retten.
    Aus diesem Grunde hatte er, als die Flüchtlinge sich an seiner Thür einfanden, trotzdem er ahnte, wer sie waren und welcher Gefahr er sich aussetzte, nicht gezögert, ihnen zuzurufen: »Treten Sie ein!« und gleich hinzu gesetzt: »Möge Gott Sie in seinen Schutz nehmen!«
    Die Polizisten waren, ohne sich aufzuhalten, inzwischen am Hause Andrea Ferrato’s vorübergegangen. Graf Sandorf und Stephan Bathory konnten also annehmen, daß sie im Hause des corsischen Fischers, wenigstens für einige Stunden der Nacht, gut geborgen waren.
    Sein Haus war außerhalb der Stadt, ungefähr fünfhundert Schritte von der Mauer entfernt, jenseits des Hafens auf einer Felsenschicht, welche die Küste überragte, erbaut. In der Entfernung von mindestens einer Kabellänge brandete das Meer gegen die Klippen des Gestades, dessen endlose Fläche in weiter Ferne den Himmel zu begrenzen schien. Gegen Südost schob sich in sanfter Rundung das Vorgebirge in das Meer, dessen Krümmung die kleine Rhede von Rovigno auf der Adria bildet.
    Ein Erdgeschoß, bestehend aus vier Zimmern, von denen zwei nach vorn, zwei nach hinten hinaus lagen, ein mit Schindeln bedeckter Schuppen, woselbst das Fischereigeräth aufbewahrt wurde, bildete das ganze Besitzthum von Andrea Ferrato. Sein Fahrzeug war eine dreißig Fuß lange Balanzelle mit viereckigem Hintertheile, die einen großen Mast mit einem Focksegel trug – ein für den Fischfang mit dem Scharrnetze sehr geeignetes Boot. Wenn es nicht benützt wurde, wurde es im Schutze der Klippen mit Wasser angefüllt; man konnte dann mittelst einer kleinen Jolle, die auf den Strand gezogen wurde, zu ihr gelangen. Hinter dem Hause dehnte sich noch ein halbkreisförmiger Raum aus, in welchem einige Gemüsesorten inmitten von Maulbeer-, Olivenbäumen und Weinstöcken sproßten. Eine Hecke schloß den Besitz gegen einen fünf bis sechs Fuß breiten Bach ab, der somit die Grenze gegen die Feldmark hin bildete. So beschaffen war das bescheidene, aber gastliche Heim, in welches die Vorsehung die Flüchtlinge geführt hatte, so beschaffen der Gastfreund, der seine Freiheit wagte, indem er ihnen einen Zufluchtsort bot.
    Sobald die Thür sich hinter ihnen geschlossen hatte, prüften Mathias Sandorf und Stephan Bathory das Zimmer, in welchem sie der Fischer zuerst empfangen hatte.
    Es war das Hauptgemach des Hauses und mit einigen Gegenständen ausgestattet, die sehr sauber gehalten waren und den Geschmack und die Thätigkeit einer sorgsamen Haushälterin verriethen.
    »Vor Allem wollen Sie gewiß etwas essen? fragte Andrea Ferrato.
    – Ja, wir sterben vor Hunger, antwortete Graf Sandorf. Seit zwölf Stunden sind wir jeder Nahrung bar.
    – Hast Du gehört, Maria?« rief der Fischer.
    Maria hatte im Nu ein weißes Leinen auf dem Tische ausgebreitet und eingepökeltes Schweinefleisch, gedörrten Fisch, Brot, eine Flasche einheimischen Weines, Weintrauben, zwei Gläser, zwei Gedecke darauf gestellt. Eine »Veglione«, das ist eine Oellampe mit drei Dochten, erleuchtete das Zimmer.
    Graf Sandorf und Stephan Bathory setzten sich sofort an den Tisch; ihre Kräfte waren erschöpft.
    »Und Ihr? fragten sie den Fischer.
    – Wie haben schon zu Abend gegessen,« antwortete Andrea Ferrato.
    Die beiden Ausgehungerten verschlangen im wahren Sinne des Wortes die Speisen, die ihnen ohne alle Umschweife und mit freudigem Gemüthe gereicht worden waren. Doch auch während sie aßen, beobachteten sie unablässig den Fischer, seine Tochter und seinen Sohn, welche ihnen von einer Ecke des Raumes aus zusahen, ohne ein Wort zu sprechen.
    Andrea Ferrato konnte ein Zweiundvierziger sein. Er hatte ein ernstes, vielleicht sogar trauriges Aussehen; sein sonnverbranntes Gesicht zeigte ausdrucksvolle Züge, dunkle Augen und einen lebhaften Blick. Er trug die Kleidung der Fischer des Adriatischen Meeres, unter der man einen robusten und sehnigen Körper vermuthen konnte.
    Maria, deren Wuchs und Gestalt den Fischer an seine verstorbene Frau erinnerten, war groß, wohlgestaltet, eher schön als niedlich; sie hatte funkelnde Augen, braunes Haar und eine von der Lebhaftigkeit des corsischen Blutes stammende warme Hautfarbe. Stets ernst gemäß den Pflichten, welche sie schon in früher Jugend zu erfüllen hatte, zeigte sie in ihrer Haltung und in ihren Bewegungen die

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