Mathias Sandorf
Rovigno zurückkehrt waren, verbreitete sich das Gerücht, daß zwei Fremde vierundzwanzig Stunden früher an den Ufern des Canals von Leme gesehen worden wären. Man hatte die ganze Gegend bis zum Meere hin abgesucht, ohne indessen ihre Spur gefunden zu haben. Es war kein Anzeichen vorhanden, wohin sie sich gewendet haben konnten. War es ihnen gelungen, die Küste zu erreichen, eines Bootes habhaft zu werden und eine andere Gegend Istriens aufzusuchen oder sogar, über die österreichische Grenze zu entkommen? Alles schien glaubwürdig.
»So bleiben wenigstens fünftausend Gulden dem Staatsschatze erhalten, meinte man.
– Das Geld ist zu etwas Besserem nutz, als feige Angeberei zu belohnen.
– Gewiß, wenn sie nur entkämen!
– Entkämen? Geht doch! Die sind schon längst auf der anderen Küste der Adria in Sicherheit.«
Aus diesen Aeußerungen, die man innerhalb der meisten, aus Bauern, Arbeitern und Bürgern bestehenden Gruppen vor den Plakaten hören konnte, ging hervor, daß die öffentliche Meinung sich durchaus zu Gunsten der Verurtheilten aussprach – wenigstens bei den Bewohnern Istriens, die slavischer oder italienischer Abstammung waren. Die österreichischen Beamten konnten also kaum auf eine Denunciation von dieser Seite rechnen. Sie vernachlässigten indessen nichts, um der Flüchtigen wieder habhaft zu werden. Die gesammte Polizei und die Gensdarmerie-Geschwader waren vom frühen Morgen an unterwegs und ein ununterbrochener Depeschenwechsel fand zwischen Rovigno, Pisino und Triest statt.
Um elf Uhr kehrte Andrea Ferrato heim und erzählte seine Neuigkeiten, die mehr guter als schlechter Natur waren.
Graf Sandorf und Stephan Bathory beendeten in dem Zimmer, in welchem sie die Nacht zugebracht hatten, von Maria bedient, gerade ihr Frühstück. Die wenigen Stunden Schlaf, das gute Essen, die ihnen gewidmete Sorgfalt hatten sie sich vollständig von ihrer Abspannung erholen lassen.
»Nun, mein Freund? fragte Graf Sandorf, sobald sich die Thür hinter Andrea Ferrato geschlossen hatte.
– Ich denke, daß Sie, meine Herren, für den Augenblick nichts zu befürchten haben, antwortete der Fischer.
– Was sagt man in der Stadt? fragte Stephan Bathory.
– Man spricht allerdings von zwei Fremden, die gestern Früh gesehen wurden, als sie gerade im Begriffe standen, das Ufer am Canal von Leme zu betreten…. Und wenn es sich um Sie handelt… meine Herren…
– Es handelt sich in der That um uns, antwortete Stephan Bathory. Ein Mann, ein Salzarbeiter aus der Nachbarschaft, hat uns gesehen und angezeigt.«
Und Andrea Ferrato wurde von dem unterrichtet, was sich in der zerstörten Farm zugetragen hatte, während die Flüchtlinge sich dort verborgen hielten.
»Und Sie wissen nicht, wer dieser Denunciant ist, fragte Andrea dringend.
– Wir haben ihn nicht gesehen, antwortete ihm Mathias Sandorf, wir haben ihn nur hören können.
– Das ist ärgerlich, erwiderte Andrea Ferrato, aber ein wichtiger Umstand ist, daß man Ihre Spur verloren hat, und übrigens denke ich, daß, falls wirklich der Verdacht aufsteigen sollte, daß Sie in mein Haus geflüchtet sind, Sie eine Angeberei nicht zu befürchten haben. Die Stimmen im ganzen Umkreise von Rovigno lauten Ihnen günstig.
– Es überrascht mich nicht, das zu hören, antwortete Graf Sandorf. Die Bevölkerung der Provinz ist anerkannt brav. Man muß indessen mit den österreichischen Behörden rechnen und diese werden gewiß vor nichts zurückschrecken, um unserer wieder habhaft zu werden.
– Zu Ihrer Beruhigung möge Ihnen dienen, meine Herren, ergriff der Fischer von Neuem das Wort, daß allgemein die Meinung verbreitet ist, Sie wären bereits auf die andere Küste des Adriatischen Meeres hinübergeflohen.
– Möge Gott geben, daß dieses bald zur Wahrheit würde, warf Maria ein, welche die Hände wie zu einem Gebete gefaltet hatte.
– Es wird dahin kommen, theures Kind, antwortete Mathias Sandorf mit dem Ausdrucke innigster Ueberzeugung, es wird mit Gottes Hilfe dahin kommen!
– Und der meinigen, Herr Graf, setzte Andrea Ferrato hinzu. Ich werde jetzt meiner Beschäftigung wie gewöhnlich nachgehen. Man ist gewöhnt, Luigi und mich am Ufer die Netze ausbessern oder unsere Balanzelle
Am Ufer kamen und gingen die Fischer. (S. 137.)
anfeuchten zu sehen, und es ist gut, wenn wir nichts an unseren Gewohnheiten ändern. Bleiben Sie, bitte, in diesem Zimmer. Verlassen Sie es unter keinem Vorwande! Um noch weniger Verdacht zu erregen,
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