Mathias Sandorf
Andrea Ferrato – vielleicht Dank seines Wissens – freimüthig in seinen Ansichten und seinen Gefühlen, und diese Besonderheit seines Wesens hatte ihm in seinem Kanton einige Feindschaft eingetragen.
Dieser auf der Südspitze der Insel gelegene Kanton, der sich fern von Bastia, fern von Ajaccio, fern von den Hauptsitzen der Regierung und der Gerichtsbarkeit befindet, zeigt sich noch Allem, was nicht italienisch oder corsikanisch heißt, gegenüber sehr verschlossen; neue Geschlechter erst können hier eine Aenderung der Ansichten und Zustände herbeiführen.
Es herrschte, wie gesagt, auch gegen die Familie Ferrato eine mehr oder minder gezeigte Feindschaft vor. Bei den Corsen ist es von der Feindschaft zum Haß nicht weit, vom Haß zu Ausschreitungen aber noch näher. Einige Umstände brachten bald ein offenes Zerwürfniß hervor. Eines Tages war Andrea Ferrato mit seiner Geduld zu Ende und in einer zornigen Aufwallung tödtete er einen ganz elenden Menschen, der ihm gedroht hatte. Er mußte flüchten.
Er war aber ganz und gar nicht der Mann dazu, sich in die corsische Wildniß zu begeben und in einem täglichen Kampfe gegen die Polizei oder gegen die Genossen und Freunde des Verstorbenen zu leben, eine endlose Folge der Blutrache herauf zu beschwören, welche schließlich die Seinigen am empfindlichsten getroffen hätte. Er entschloß sich, auszuwandern, und verließ heimlich Corsika, um auf die sardinische Küste hinüber zu ziehen. Seine Frau machte ihr kleines Besitzthum zu Geld, sie trat das Häuschen in Santa Mazza ab, verkaufte die Möbel, Barke und Netze und kam ihm mit ihrer Tochter nach. Er leistete darauf Verzicht, jemals in sein Heimatland zurückzukehren.
Der Mord, den Andrea Ferrato begangen, trotzdem er in rechtlicher Nothwehr verübt war, lastete doch schwer auf seinem Gewissen. Die mit der Muttermilch eingesogenen abergläubischen Anschauungen gaben ihm den Wunsch ein, den Mord zu sühnen. Er war der Ansicht, daß ihm der Todtschlag nur vergeben werden würde an dem Tage, an welchem er mit Gefahr des eigenen Lebens einem Anderen das Leben gerettet haben würde. Er war entschlossen, es zu thun, sobald sich ihm die Gelegenheit böte.
Andrea Ferrato war, nachdem er Corsica verlassen, nur eine kurze Zeit in Sardinien geblieben, weil er dort leicht erkannt und entdeckt werden konnte. Er war energisch und muthig und zagte gewiß nicht für sich, wohl aber für die Seinigen, welche unter den Vergeltungen, die dort Familie an Familie übt, am meisten zu leiden gehabt hätten. Er wartete den richtigen Augenblick ab, um sich entfernen zu können, ohne Mißtrauen zu erregen, und fuhr dann nach Italien hinüber. In Ancona wurde ihm Gelegenheit geboten, über die Adria nach Istrien zu kommen. Er benützte sie.
So beschaffen waren die Verhältnisse, welche diesen Corsen in den kleinen Hafen von Rovigno geführt hatten. Seit siebzehn Jahren betrieb er wieder die Fischerei; sie verschaffte ihm wieder die frühere günstige Vermögenslage. Neun Jahre nach seiner Ankunft in Rovigno wurde ihm ein Sohn, Namens Luigi, geboren; seine Geburt kostete der Mutter das Leben.
Seitdem er Witwer geworden, lebte Andrea Ferrato lediglich seiner Tochter und seinem Sohne.
Andrea Ferrato näherte sich dem Grafen.(S. 132.)
Maria war jetzt achtzehn Jahre alt und vertrat an dem Knaben, der sein achtes Lebensjahr begann, Mutterstelle. Wenn der unüberwindliche Schmerz über den Verlust seiner treuen Gefährtin nicht mehr an ihm genagt hätte, wäre der Fischer von Rovigno so glücklich gewesen, als man es eben durch Thätigkeit und das Gefühl, seine Pflicht zu erfüllen, sein kann. Er wurde von Allen im Orte geliebt, er war stets gefällig und hatte für Jeden einen guten Rath. Man weiß bereits, daß er mit vollem Rechte für geschickt in seinem Berufe gehalten wurde. Inmitten der langgestreckten Klippen an den istrischen Küsten brauchte in ihm kein Bedauern über den ihm verlorenen Fischfang im Golfe von Santa Mazza und in der Meerenge von Bonifazio aufzusteigen. Er kannte sich in diesen Gewässern, in welchen man dieselbe Sprache redet, wie auf Corsika, bald recht gut aus. Der Nutzen, den ihm das Lootsen von Schiffen auf der Strecke von Pola bis nach Triest abwarf, kam noch zu dem Verdienste hinzu, den ihm die Ausbeutung dieser fischreichen Gewässer einbrachte. In seinem Hause waren stets arme Leute zu finden, und seine Tochter Maria unterstützte ihn nach Kräften in den Werken der Barmherzigkeit.
Aber der
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