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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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könnte. Das klingt doch eigentlich nicht schlecht.
    Ich lege meinen Kopf auf den leeren Sitz neben mir und lasse den Zug einfach fahren, wohin er fährt. Nach Hause, wenn ich Glück habe. Das ist mein heimlicher Wunsch. Ich wünschte mir sogar, meine blöde Mutter säße mit mir hier im Zug. Es wäre mir sogar egal, wenn sie einen Flachmann in der Tasche hätte wie ein Trunkenbold.
    Ich liege einfach da und streichle mir das Haar, und es fühlt sich fast an wie die Hand von jemand anderem. Sie ist nett zu mir und unbekümmert. Und sie reißt mir kein einziges Haar aus dem Kopf.

Zweiundvierzig
    Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Es war dieselbe Stadt, die ich vor ein paar Stunden verlassen hatte, aber ich fühlte mich wie in einem fremden Land. Die Liberty Avenue unter orange glühenden Straßenlaternen und die alten Steinhäuser im Tiefschlaf. Ich hätte mir fast eine Kamera gewünscht.
Wo bist du geboren?
Das werden die Leute mich eines Tages immer wieder fragen müssen, und es würde den ganzen Aufwand viel einfacher machen, wenn ich ihnen einfach ein Bild zeigen könnte. Wahrscheinlich vergisst man ja doch eine ganze Menge. Wahrscheinlich vergisst man sogar das meiste.
    Als ich bei Mool vorbeiging, sah ich ihn drinnen den Fußboden wischen. Das Lokal war zu, aber ich hielt mein Gesicht direkt vor die Scheibe. Mool kam an die Tür und zeigte auf das Schild. LEIDER GESCHLOSSEN . Aber am Ende gab er mir doch eine Cola zum Mitnehmen, umsonst, weil ich ihm sagte, ich hätte Durst. Er fragte mich, wo das Blondchen sei, meine kleine Freundin, und ich sagte, keine Ahnung, aber sicher im Bett. Er sagte, da gehöre ich auch hin. Kleines Fräulein, nannte er mich wieder. Guter alter Mool. Jetzt aber schnurstracks nach Hause, sagte er, und ich sagte, ich sei schon auf dem schnellsten Weg.
    Aber ich kam nicht so recht hin. Ich ging den Ehler Drive entlang und sah Mrs Bender das Fenster ihres Wohnzimmers putzen. Innen war Licht, und man konnte sie zwischen den Gardinen wie ausgestellt sehen. Sie sprühte etwas an die Scheibe und verwischte es dann in großen schmierigen Kreisen. Ihre Hand war flach gegen das Glas gedrückt, und es sah aus, als sagte sie jemandem Adieu, aberwie bekloppt, als wäre der andere taub. Und dann dachte ich, nein, sie winkt vom Deck eines Schiffs. Und mein letzter Gedanke war ein Broadway Musical. Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn! Die große Nummer, bevor der Vorhang fällt. Am liebsten hätte ich an ihrer Tür geklingelt und ihr den Preis der besten Darstellerin in einem Musical für Hörgeschädigte verliehen.
    Bei Anna zu Hause schlief alles, aber die kleinen Lampen auf dem Rasen waren an. Wenn man die Augen zusammenkneift, verwandeln sie sich in Sterne. Ich setzte mich zwischen sie auf den kalten Rasen und schaute in den Himmel hinauf. Man sagt, dass die Sterne sich immer weiter von uns wegbewegen, obwohl von hier unten aus niemand etwas davon merkt. Da glaubt man, alles sei gut eingerastet an seinem Platz, und in Wirklichkeit sind die Sachen genau das Gegenteil. Ich konnte nur hoffen, Anna träume irgendwie von mir mit meinen Schmetterlingsspangen und meinem alten Haar. Wir beide auf den gelben Gartenstühlen, hoffend und zitternd, etwas Phantastisches werde passieren. Ich frage mich, wie es sein wird, wenn ich sie in der Schule treffe. Das Bild in meinem Kopf sieht so aus, dass wir im Flur aneinander vorbeigehen und kein Wort miteinander reden. Das scheint unglaublich, aber was sollten wir sagen? Wir wären zu beschämt, auch nur irgendwas zu sagen. Ich hoffe nur, sie weiß, dass sie eine Weile die Liebe meines Lebens war. Sie hatte großen Einfluss auf mich. Wirklich. Wenn man sich Hals über Kopf in jemanden verknallt, ist das ein echtes Schmerzmittel. Man wundert sich fast, warum die Ärzte es nicht öfter empfehlen.
    Als ich nur noch ein kleines Stück von zu Hause entfernt bin, sehe ich Licht im Küchenfenster. Es ist richtig unheimlich, zu denken, dass das Leben da drin weitergeht. Irgendwie kommt es mir vor, als passierte alles, was je in diesem Haus passiert ist, immer weiter. In jedem Zimmer laufen hundert, tausend verschiedeneFilme ab. Wie zum Beispiel ich in der Badewanne, zurückgelehnt, gerade dabei, mir die Haare auszuspülen. Ich mache die Augen zu und lasse mir vom Wasser die Ohren kitzeln. Als ich mich wieder aufrichte, ist Helene da, steht an der Tür. Sie kommt einfach rein und setzt sich auf den Wäschekorb. Es ist ihr schnuppe, dass ich nackt bin, aber mir nicht, und

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