Mathilda Savitch - Roman
ich bedecke mich. «Welche Seite von meinem Gesicht ist besser?», fragt sie. Sie zeigt mir die linke und dann die rechte. Ich sehe keinen Unterschied und sage ihr das. «Guck noch mal», sagt sie. «Eine Seite ist schlechter.» Sie kniet sich vor die Badewanne und zeigt mir beide Seiten noch einmal. Es ist kein Spiel. Sie regt sich ehrlich auf, und ich weiß, ich muss mich entscheiden, sonst komme ich nicht aus dem Schneider. «Die linke», sage ich, «die linke ist besser.» Sie steht auf und stellt sich vor den Spiegel. «Ich glaube auch», sagt sie und starrt weiter in den Spiegel, als hätte sie dort etwas verloren. Ich verstand nicht, was die ganze Aufregung sollte. Aus der Badewanne heraus gesehen dachte ich, sie ist einfach eitel. Aber jetzt sehe ich, dass es mehr war. Ich sehe ihre Angst. Helene drehte immer etwas durch, wenn sie abends keine Verabredung hatte. Aber es waren nicht nur die Jungen. Es gab diesen Ort in ihr, an den sie sich manchmal zurückzog, und da waren nicht nur Fenster, wie in ihrem Traumhaus. Da waren nur Spiegel. Wenn ein Mädchen anfängt, zu viel über eine Gesichtshälfte nachzugrübeln, weiß man, dass es ist in Schwierigkeiten ist. Ich wünschte, ich könnte noch einmal zurück und ihr sagen, sie sei perfekt. Aber was mich noch wütender macht, sind meine krampfhaften Versuche, mich die ganze Zeit, solange sie im Bad war, bedeckt zu halten. Was wollte ich verstecken? Warum nahm ich nicht meine Hände runter und ließ zu, dass meine Schwester mich sah?
Ich bin fast zu Hause, aber da überlege ich’s mir anders. Ich biege ab und gehe an der dicken Eiche vorbei in Kevins Garten. Ich schleichehintenherum. Der Mond über der weißen Gartenlaube wäre wieder ein toller Schnappschuss. Irgendwie erscheinen die Sachen im Dunkeln wichtiger. Außerdem ist der Mond ein Augenwischer, haben Sie auch schon mal bemerkt, wie der polieren kann? Das neue Schwimmbecken der Ryders macht die Sache noch dramatischer. Es sieht aus wie eine Sanduhr, und unter dem Wasser glimmt ein Licht, was ziemlich Stimmung macht. Das Wasser hat die Farbe von Annas Augen. Ich tunke meine Hand ein, und es ist warm. Kevins Vater schwimmt gern, auch im Winter. Er ist Doktor und kann sich die Heizung leisten. Das haut ins Geld, ist Pas berühmter Spruch.
Als ich den Rasen überquere, schlüpft der Mond hinter eine Wolke, und ich erstarre. Als er wieder rauskommt, gehe ich weiter. Was bin ich?, frage ich mich. Eine Art mondgesteuerter Roboter? Ich kichere über meinen eigenen Witz. Ich wette, ich wäre eine wunderbare Tante geworden. Ich hätte ihr gezeigt, wie man auf dem Rasen Mondroboter spielt, wenn all die langweiligen Leute ins Bett gegangen sind. Welchen Namen hätte Helene ihr gegeben? «Was meinst du?», fragt sie mich, und ich zögere nicht. «Perizad», sage ich.
Von den Feen geboren
.
Kevins Fenster ist dunkel. Das ganze Haus ist dunkel. Ich frage mich, ob er im Bett liegt und an Sie-wissen-schon denkt. Ich hätte fast an die Hintertür geklopft, aber ich will nicht mit den Eltern zu tun bekommen. Warum mache ich nicht einfach, was sie in Filmen immer machen?, denke ich. Also suche ich mir einen passenden Stein, so klein, dass er nicht schaden kann, aber groß genug, um seinen Zweck zu tun. Der erste Wurf geht prompt daneben, und der zweite ist die große Katastrophe. Die Scheibe kracht. Der Mondroboter erstarrt, und in Kevins Zimmer geht ein Licht an. Plötzlich ist er in weißem Hemd am Fenster.
«Mathilda?», flüstert er runter. «Verdammt, was machst du?»
«Ich wollte es nicht kaputt machen», sage ich.
«Psssst», macht er.
«Hast du schon geschlafen?»
«Leise,» sagt er. Er sieht verwirrt und blind aus. Ich schenke ihm mein bestes Romeolächeln, aber nicht ganz so gut, wie ich könnte.
Auf, schöne Sonne! töt’ die neiderfüllte Mondsichel, die schon krank ist, blass vor Kummer, dass du viel schöner bist – du ihre Jungfrau! – als sie. Sie ist es! O meine Geliebte!
«Was?», sagt Kevin.
«Nichts», sage ich. «Mein Vater bezahlt für das Fenster.»
Er legt seinen Finger an die Lippen wie eine stocksaure Bibliothekarin. Pssst! Dann zeigt er auf sich und dann auf mich. Was bedeutet, er kommt runter.
In seinem Zimmer geht das Licht aus, und er braucht eine Ewigkeit, bis er an der Hintertür erscheint. Er hat sich Schlappen und einen blauen Parka angezogen.
«Hast du schon geschlafen?», frage ich. «So früh?»
«Früh nicht gerade», sagt er. «Es ist mitten in der Nacht.» Komisch, so
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