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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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von mir machen und sie in einem Schuhkarton aufheben. Nicht jetzt, aber später, wenn ich einmal schön bin. Falls ich da je hinkomme. Wenn ich es mir richtig überlege, ist es auf eine Weise widerlich, aber auf eine andere ist es doch irgendwie nett.
    «Verbrennst du sie nicht?», frage ich.
    «Was soll ich verbrennen?», sagt er.
    «Nichts.» Ich wusste, er würde es nicht tun. Wahrscheinlich würde er sie in alle Ewigkeit behalten. Das machen die Leute immer, Sachen in Schuhkartons aufbewahren, meistens als Beweis, wie toll ihr Leben einmal war. Als Pa noch jung war, hat er eine Reise nach Stonehenge gemacht, und er hebt immer noch ein abgebröckeltes Stücken Felsen auf, das er auf dem Boden gefunden hat. Und ich weiß, dass Ma Helenes Ohrringe mit den algengrünen Steinen behalten hat, obwohl sie die nie tragen würde. Sie bewahrt sie in ihrem Schmuckkästchen auf, in einer eigenen Schublade.
    An der Tür drehe ich mich um. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll, wie man Dinge beendet. Ich frage ihn, ob sie ihm einen falschen geben werden.
    «Falschen was?», fragt er, und ich sage: «Einen falschen Arm.»
    Er lacht sein trauriges Rückwärtslachen. Das war wirklich sein Ding.
    «Ich will keinen», sagt er.
    «Ich würde einen nehmen», sage ich. «Wenn ich du wäre. Wahrscheinlich verteilen sie die sogar umsonst.»
    Dann herrscht Schweigen.
    Und dann sagt er: «Sag ihr, sie soll mir nicht mehr schreiben.» Und sein Gesicht ist voller blödem Stolz. Ich nicke.
    Und dann sagte ich Auf Wiedersehen und er sagte Auf Wiedersehen, das war’s. Ich öffnete die Tür und blickte nicht zurück.
    Ich wusste, ich würde ihn wahrscheinlich niemals wiedersehen, und darüber war ich ehrlich gesagt etwas traurig.
    Draußen schlug ich mich durch die Büsche und sah die blinde Frau immer noch am Fenster. Vielleicht war das ihr Stammplatz. Mit dem Gesicht zu dem kleinen Haus, wo ihr Sohn lebte. Vielleicht wusste sie nicht einmal, dass er seinen Arm verloren hatte. Beim Umarmen würde sie es merken, aber vielleicht ließ er sie nie. Vielleicht hielt er es für besser, sie im Dunkeln zu lassen.
    Jetzt ist alles schwarz, und ich spiegele mich im Fenster des Zuges. Ich sehe mein Gesicht, mondförmig und kalt in der Scheibe. Ich hätte Louis nach den Terroristen fragen sollen. Ob sie ihn gefoltert haben. Oder war es eine Bombe? Er hat Glück gehabt, dass er nicht mehr verloren hat. Manche Jungen kommen ohne Beine oder sogar ohne Gesicht nach Hause. Louis hätte mir vielleicht sagen können, ob ich sie hassen soll oder nicht, diese Leute, die uns das antun. Wir tun es uns selber an, würde Helene sagen. Aber manchmal ist es einfacher zu glauben, es gebe einen Feind, und nicht nur einen blöden Krieg im Inneren.
    Ihr werdet alle sterben.
Was Louis wohl darüber denkt?
    Es gibt tausend Sachen, die ich ihn nicht gefragt habe. Ich habe ihn nicht nach den Gedichten gefragt. Denen von Helene, die er in seinen E-Mails angesprochen hat. Ich hätte ihn fragen sollen, denn was wusste ich eigentlich über sie? Wahrscheinlich kannte ich nur die Spitze des Eisbergs. Bei einer schönen Person glaubt man einfach nicht, dass sie wirklich leidet, auch wenn sie es tut. Kranke Leute sollten krank aussehen, wie in Märchen oder im Fernsehen. Sie sollten keine sexy Kleider tragen oder sich die Beine rasieren. Wie hätte ich wissen sollen, dass sie kurz vor dem Verschwinden war? Manchmal frage ich mich, ob ich heimlich ein Idiot bin. Nicht besser als Lucy Mond. Ich meine, was sind die Leute denn? Wassind sie? Ma und Pa und Louis und Anna und Kevin. Die große Liebe meiner Schwester, ein einarmiger Soldat. Was hat das zu bedeuten? Die meisten Menschen sind weit weg. Schlimmer als Sterne. Der Weltraum ist genau hier, wenn man es sich richtig überlegt. Der Weltraum ist dein Wohnzimmer. Man muss praktisch ein Astronaut sein, um ein Haus auf der Erde zu bewohnen.
    Die Vorstellung von einem Liebhaber macht mir große Hoffnungen. Dann ist jemand da, der einem nie wehtut. Selbst wenn dieser Jemand mit Messern gespickt wäre, man würde trotzdem auf ihm schlafen und keinen Schmerz spüren. Aber ich bin nicht romantisch oder so. Ich weiß, vielleicht trifft man diesen Menschen nie, oder wenn, hasst man ihn vielleicht am Ende.
    Ich weiß einfach gar nichts. Ich bin ganz schön blöd. Das bin ich wirklich.
    Können Sie sich die Ewigkeit ohne Menschen vorstellen? Wie wäre das wohl? Wäre das immer noch die Zukunft? Die Unendlichkeit, aber niemand da, der sie messen

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