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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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es weh?», fragt er. Sofort zieht er zurück.
    «Nein», sage ich.
    «Ich muss nur dieses Kleid ausziehen», erkläre ich.
    Es war ganz verknüllt und erstickte mich irgendwie. Ich gebe mir einen Ruck, stehe auf und ziehe alles aus.
    «Ich will kein Baby machen», sage ich.
    «Wir brauchen gar nichts zu machen», sagt er. Er sieht erleichtert aus.
    «Ich will dir nicht wehtun», sagt er. «Wir können einfach schlafen.»
    «Kommen sie nicht rein?», frage ich. «Morgen früh?»
    «Nein», sagt er. «Die kommen nie.»
    Kevin steht auf und zieht sich auch aus. Komisch, im Dunkeln ist sein ganzer Körper blau, nicht nur das Haar. Krishna mit seiner grenzenlose Liebe zu allen Lebewesen kommt mir in den Sinn. Als wir wieder unter die Decken kriechen, lege ich mein Gesicht wie vorher an Kevins Hals. Ich küsse ihn, und er macht wieder den Kleinmädchenlaut. Er kuschelt sich an mich. Erstaunlich, wie warm sein Körper ist. Ich spüre das Harte an meinem Bein. Es bleibt einfach so, er drängt nicht. Ich frage mich, ob die Fische in ihrer Höhle schlafen. Fische haben seltsame Gewohnheiten. Ob sie sich auch verlieben? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich treibt sie nur das Biologische. Aber wer weiß? Wir sind ja keine Fische, und als Nichtfische werden wir auch nie erfahren, was sie glücklich oder was sie traurig macht. Wir werden nie eine Geschichte erfahren, die ein Fisch erfunden hat. Nicht in tausend Jahren.

Dreiundvierzig
    Als ich aufwachte, stimmte etwas nicht mit dem Licht. Es war seltsam weiß. Und die Art, wie es durch die gesprungene Fensterscheibe eindrang, machte mir eine Gänsehaut. Kevin schlief noch, und ich stahl mich aus dem Bett. Ich wusste, etwas Schreckliches war passiert. Es war unnatürlich still. Terror, war mein erster Gedanke, das weiße Leuchten nach einer Atombombe oder die Straßen voller Gas und Rauch. Aber als ich ans Fenster ging, sah ich, dass es Schnee war.
Schnee
. Ich konnte meine Augen nicht mehr davon lösen. Und wie er fiel, o mein Gott. Er kam herunter wie im Schlaf.
    Ich war noch nackt, und als ich mich anzog, nahm ich Kevins Sachen statt meiner. Ich konnte das gelbe Kleid nicht wieder anziehen. Aber ich nahm es mit und schlüpfte aus dem Zimmer in den Flur, die plüschige Treppe runter, direkt in die Küche und durch die Hintertür hinaus, sanft wie ein Reh. Wenn ich will, bin ich manchmal richtig anmutig.
    Draußen war alles weiß. Es musste schon ein paar Stunden geschneit haben. Die Sonne war noch nicht ganz draußen, aber man ahnte, dass sie sich nur noch hinter den Hügeln verbarg. Schneeflocken schmolzen im Schwimmbecken. Ich blickte zu unserem Haus hinüber und betete zu Gott.
    Und dann rannte ich in den Wald. Ich suchte die alte Festung und konnte nicht mal eine Spur davon entdecken. Aber ich wusste ziemlich genau, wo sie gewesen war. Ich kniete mich auf den Boden und fing an zu buddeln, erst nur mit den Händen, dann mit einem Stock. Untendrunter war die Erde wärmer. Ich buddelte weiter, ohne sorecht zu wissen, was ich da eigentlich machte, bis ich aufhörte und es sah. Ich hatte ein Grab gemacht. Nicht sehr groß, aber es reichte für einen kleinen Hund oder für ein Baby. Oder für ein gelbes Kleid. Ich faltete es schön glatt zusammen und packte es unten in das Loch.
Tu’s
, sagte eine Stimme, nur war es nicht meine eigene. Es waren die Wächter und ich wusste, ich konnte ihnen vollkommen vertrauen. Ich bedeckte das Kleid mit Schnee und Erde und Laub, und dann steckte ich meinen Buddelstock hinein, um die Stelle zu markieren. Es war kein sehr gutes Grab, aber wenigstens war es fertig. Ein schwarzer Vogel flog herbei, aber er warf keinen Schatten. Er
war
ein Schatten.
    Ich wusste, meine Mutter war tot. Ich stand auf und klopfte mich ab. Die Fußstapfen, die ich auf dem Hinweg gemacht hatte, waren schon verschwunden. Der Schnee hatte sie gefüllt, als wäre ich nie hier gewesen. Als wäre ich nie geboren. Um diese Jahreszeit, wenn die Blätter abgefallen sind, sieht man durch die Bäume direkt auf die Häuser. Ich ließ mir Zeit, dorthin zurückzugehen. Die Küchenlampe war noch an, und ich überlegte, was ich zu meinem Vater sagen sollte. Wie konnte ich ihm helfen? Armer Pa. Ich wusste, am Ende würde er mir ein Brot schmieren. So ist er eben. Aber als ich durchs Fenster guckte, war Pa nicht da. Sie war da. Saß an ihrem alten Platz in der Küche. Rauchte ihre alten Zigaretten. Sie hatte sich sogar die Brücken und die Drachen umgewickelt. Zuerst glaubte ich nicht, dass

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