Matterhorn
Einbruch der Dunkelheit schaffen. Der Fluss sieht allerdings so aus, als fließe er dummerweise genau durch einen Canyon.«
Sie besprachen es kurz, und Fitch gab sein Einverständnis. Er befahl eine Neuverteilung des Proviants, wobei jeder, der noch eine C-Ration-Dose hatte, diese auch behalten durfte, was den Unmut derer milderte, die ihre Rationen gespart hatten. Die meisten hatten, wie Mellas, bereits ihren ganzen mitgeführten Proviant gegessen. Die stellvertretenden Zugführer sammelten alles ein, was noch da war. Der neu verteilte Proviant entsprach etwa einer Dreivierteldose pro Mann. Zwanzig Minuten nach der Neuverteilung des Proviants verließ die Kompanie in gewundener Linie den Ort des Munitionsverstecks, Jacobs’ Gruppe an der Spitze, während die von Jackson sich mit Williams’ Leiche abmühte.
Sie bewegten sich langsam in nordöstlicher Richtung und folgten dabei einem Bachlauf, der sie höher in die Berge und näher an die DMZ heranführte. Das Gelände gewann eine wilde Schönheit, mit steilen, von Dschungel bedeckten Gipfeln und Wildbächen, die von den Monsun-Regenfällen reißend waren. Ab und zu rutschte jemand auf einem glasigen, vom Wasser glatt geschliffenen Stein aus, und sein gesamter Körper wurde von strudelndem weißem Wasser überspült, das sofort in sein Marschgepäck eindrang und sein Ponchofutter durchnässte. Wegen seiner schweren Ausrüstung außerstande, gegen die Kraft des Stroms wieder auf die Beine zu kommen, wurde er von lachenden Kameraden hochgezogen. Wer durchnässt wurde, wusste allerdings, dass er die ganze Nacht gegen die Kälte zu kämpfen haben würde und nur versuchen konnte, seine Kleidung und sein Ponchofutter mittels Körperwärme zu trocknen.
Die Bäume wurden größer und der Wald dunkler, während sie an Höhe gewannen. An einer Stelle trat ein großes, flaches Stück Fels zutage und öffnete den Dschungel so weit, dass sie ihre Marschroute überschauen konnten. Direkt vor ihnen lag ein dunkles, schmales, mit Wolken gefülltes Tal, die dicht an dunklen Gipfeln aus nacktem Fels klebten. Die Gipfel thronten über einem schmalen, gewundenen Fluss. Jeder Marine, der diesen offenen Aussichtspunkt passierte, machte irgendeine nervöse Geste: zurrte seine Ausrüstung fest, blieb kurz stehen, um einen Blutegel mit Insektenschutzmittel zu besprühen, pfiff laut. Der Regen, der bis jetzt als dunstiges Geniesel aus hohen Wolken gefallen war, nahm plötzlich zu. Er trommelte auf die Erde und brachte einen Schwall kalter Luft.
Bis sie den dreieckigen Berg erreichten, hatte Mellas wegen seines niedrigen Blutzuckers heftige Kopfschmerzen. Attacken von Adrenalin, Hunger und der ständigen zehrenden Kälte aufgrund nasser Kleidung hatten seinen Körper ausgelaugt. Er fühlte sich wie ein krankes Tier und schleppte sich durch bloße Willenskraft dahin.
In der Düsternis ragte der Berg unerreichbar hoch auf.
Jacobs schaute nach oben. »Sch-scheiße, w-wer hat denn d-den ausgeguckt?« Seine Hosen waren tropfnass von dem Wasser des Bachs am Fuß des Hügels.
Mellas schloss die Augen. »Ich, Arschloch.«
Der Mann an der Spitze seufzte und begann dann, an Steinen und Wurzeln Halt suchend und sein Gewehr vor sich herschiebend, den Hang hochzukriechen.
Auf halbem Weg hörte Mellas hinter sich ein Rumoren. Er drehte sich um und sah Hippy hilflos bergauf blicken, während er, sein schweres Maschinengewehr vors Gesicht gehalten, rückwärts rutschte. Er stieß gegen die hinter ihm Kletternden, die ihrerseits ins Rutschen kamen und gegen andere stießen. Die ganze in Zeitlupe sich abspielende Szene kam vor einem Baum zum Stehen, und alles entwirrte sich unter lauten Flüchen auf Hippy. Dann kletterten sie erneut los.
Mellas’ Zug brauchte eine Stunde, um die Bergkuppe zu erreichen, während der Rest der Kompanie frierend und einem etwaigen Angriff schutzlos ausgeliefert im rauschenden Bach wartete und das Licht vollends schwand. Als erster Offizier, der die vorgesehene Position erreichte, war Mellas dafür verantwortlich, das Lager für die Kompanie zu bestimmen und die ankommenden Marines in Stellungen einzuweisen. Er hackte sich mit einer Machete durch den Dschungel, um die Lagerbegrenzung zu markieren. Er musste sich dazu zwingen, sich nicht auf den Boden fallen zu lassen, um nie mehr aufzustehen. Pflanzengewirr schlug ihm ins Gesicht, zerrte an seiner Haut, verbarg das Gelände vor seinen Augen. Er versuchte sich mühsam an die Vorschriften für die Platzierung der
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