Matterhorn
gab. Das war der beste, vielleicht der einzige Weg nach oben.
»Wir brauchen bessere Kontrollmöglichkeiten«, fuhr Simpson wie im Selbstgespräch fort. »Dieser Scheiß-Fitch liegt einen vollen Tag hinter dem Zeitplan. Gestern ist er den ganzen Tag auf seinem Hintern hocken geblieben. Den ganzen Scheißtag, um ein paar Fälle von Fußbrand evakuieren zu lassen, die nichts als das Ergebnis schlechter Führung sind. Aber nicht mit mir. Wird ihm eine Lehre sein.«
Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein, stand von seinem Stuhl auf und kippte es hinunter. Er stellte das Glas hart auf dem Tisch ab. »Das ist ein guter Tropfen. Portugiesisch, nicht wahr? Davon sollten wir noch eine Kiste bestellen.« Er verließ den Raum, und die anderen standen von ihren Stühlen auf, als er hinausging.
Simpson trank weiter. Nach zweistündigem, ruhelosem Durchblättern des Papierstapels auf dem behelfsmäßigen Sperrholz-Schreibtisch hatte er fast eine halbe Flasche Jack Daniel’s Black konsumiert. Er war sechs-, siebenmal aufgestanden, um die an eine weitere Sperrholzplatte geheftete Landkarte zu studieren, die an dem klammen Stoff der Zeltwand lehnte. Er hatte den Finger auf die Koordinaten von Berg 1609 , der letzten gemeldeten Position der Bravo-Kompanie, gelegt und sich einzureden versucht, dass sie schon klarkommen würden. Dann, außerstande, Trost zu finden, und im Gefühl seiner Verantwortung für das Leben vieler Männer, kehrte er widerstrebend zu dem Papierkram zurück und füllte sein Glas nach.
Er wusste, er sollte nicht so viel trinken, zumal wenn er allein war. Aber er war nun mal viel allein. Schließlich war er der Bataillonskommandeur. Es hieß doch, dass es an der Spitze einsam war. Was hatte er erwartet? Die zwanglose Kameradschaft im Quartier der unverheirateten Offiziere? Aber eine andere Stimme wies ihn zurecht. Er sollte ein freundschaftlicheres Verhältnis zu den anderen Bataillonskommandeuren im Regiment oder zu den Leuten seines Rangs und Alters im Regimentsstab pflegen. Er hatte es versucht. Erst neulich hatte er Lieutenant Colonel Lowe, der Two Twenty-Four bekommen hatte, zum Essen eingeladen. Er hatte neue Zigarren und richtig guten Wein aufgefahren. Aber es hatte sich keine ungezwungene Stimmung eingestellt. Lowe hatte Football für Annapolis gespielt, während er, Simpson, sich in Korea den Arsch abgefroren hatte, aber trotzdem war Lowe hier, drei Jahre jünger als Simpson und genauso weit. Das war es eben – Annapolis. Simpson hatte die Georgia State hinter sich gebracht und nie Zeit gehabt zu lernen, wie man Kontakte pflegte. Er konnte das nicht so wie Lowe oder Blakely. Hatte es nie gekonnt. Würde es nie können. Na und? Dann war er eben allein. Na und? Schließlich war er nicht hier, um sich zu amüsieren. Er war hier, um Gooks zu töten.
Langsam schob er den Stapel Papierkram über den Schreibtisch. Auf den frei gewordenen Platz stellte er das Glas Whiskey und die halb volle Flasche. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit warf ein warmes Licht zurück. Dunkel und warm.
Immer wieder ging er im Geist Mulvaneys Kommentare und Fragen während der Lagebesprechung durch. Warum musste er ausgerechnet an so eine vertrottelte Witzfigur wie Mulvaney geraten? Er konnte einfach nicht einschätzen, was Mulvaney dachte – oder was Mulvaney von ihm hielt. Simpson war sich sicher gewesen, dass ein alter Infanterist wie Mulvaney hocherfreut sein würde, wenn sein Hauptquartier aufs Matterhorn verlegt wurde. Mulvaney hatte ja sogar zugegeben, dass es ganz danach aussehe, als gäbe es da draußen Gooks. Inzwischen hatte er allerdings das Gefühl, es sei ein Fehler gewesen, dass er dort draußen gewesen war und sich dann hatte abstrampeln müssen, um wegen Cam Lo zurückzukommen. Aber Mulvaney hatte grünes Licht gegeben. Simpson nahm noch ein paar Schlucke. Vier Tage bis zur Besetzung von Berg 1609 . War das voreilig gewesen? Die Männer da draußen hatten es mit lauter grünen Reserve-Lieutenants zu tun. Nahmen die Truppen nicht richtig ran. Kamen zu langsam vorwärts. Es gab einfach nicht genügend reguläre Captains. Die ganze verdammte Geschichte stank. Marines waren Stoßtrupps. »Dosenöffner« hatte Liddell Hart sie einmal genannt. Oder hatte er »Türöffner« gesagt? Solche Details konnte er sich einfach nicht merken, deshalb standen in seinen Berichten auch keine markigen Sprüche, obwohl er wusste, dass das gut ankam. Dafür kannte er sich mit Taktik aus. Warum sollte er sich da irgendwelche
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