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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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Vietnam verlassen hätte. Es hatte so gut angefangen – als Kompaniechef. Jetzt in die Etappe abserviert zu werden, war etwas, was er nicht ertragen konnte. Er kannte das Marine Corps gut genug, um zu wissen, dass sich das herumsprechen würde. Und in einer Organisation, die so klein war wie die Marines, würde ihn das immer wieder einholen. Noch so viele Erklärungen würden nichts nützen. Sie würden nur wie faule Ausreden wirken. Die wahre Geschichte, die Hawke und die Zugführer kannten, würde im Dschungel verborgen bleiben, bis sie nach Hause versetzt wurden. Dann würde sie keine Rolle mehr spielen. Fitch wäre nur noch ein Witz.
    Unten bei den Stellungen saßen Mellas und Hamilton auf dem hinteren Rand ihres Schützenlochs. Hamilton hatte sich Mellas’ Taschenlampe mit der roten Vorsatzlinse ausgeliehen, um ein weiteres Quadrat auf seiner Short-Timer-Karte auszufüllen. Sie zeigte die Zeichnung einer zart gebauten jungen Vietnamesin, die das rechte Bein über ihren Kopf gebogen hatte, sodass ihre Vulva bloß lag. Zweihundert kleine, nummerierte Quadrate umwanden die Frau in einer Spirale, die mit einer Null zwischen ihren Beinen endete. »Wissen Sie, Lieutenant«, sagte Hamilton, »ich finde, die Frau da ist schön. Ehrlich jetzt. Sie sieht genauso aus wie eine, die ich zu Hause gekannt hab.«
    »Hören Sie schon auf, Hamilton. Aus der Perspektive sehen sie alle gleich aus«, sagte Mellas in Erinnerung an einen Witz, den er einmal gehört hatte. Dann hatte er das Gefühl, er hätte die schöne Frau auf Hamiltons Karte irgendwie entweiht.
    Hamilton stützte sich auf den Ellbogen ab. »Ich wollte sie schon seit der achten Klasse heiraten.«
    »Und warum haben Sie es nicht getan?«
    »Sie hat einen Typen geheiratet, der Ingenieur in der Fabrik war. Er hatte einen Job, durch den er von der Wehrpflicht befreit war.« Hamilton verlor sich eine Weile in seiner eigenen Welt, dann kehrte er zurück. »Ich hatte da einen Freund, Sonny Martinez. Wir sind von Camp Lejeune aus zu ihrer Hochzeit gekommen. Sonny spricht ganz gut Englisch, macht aber immer noch Fehler. Jedenfalls spricht er beim Empfang Margarets Mann an und fragt ihn: ›Warst du in Army, hey?‹ ›Nein‹, antwortet der Typ. ›Warum du gehst nicht in Army?‹« Hamilton sprach in langsamem, aufgeblasenem Ton weiter. »›Tja, sehen Sie, ich habe einen sehr wichtigen Job, und dieser Job ist so wichtig, dass ich nicht zur Army muss.‹ Da hat Sonny für den Rest des Tages die Klappe gehalten, und ich wär am liebsten über den Tisch gesprungen und hätte dem Drecksack die Fresse poliert.«
    Mellas lachte.
    Hamilton hob ein unsichtbares Glas. »Auf Margaret und ihren Scheißmann.« Er schwieg einen Moment lang. »Warum kriegen solche Arschlöcher eigentlich immer die tollen Bräute ab?«
    »Ich schätze, Frauen wollen Sicherheit. Typen wie Sie und ich haben da nicht viel zu bieten.«
    »Irgendwie glaub ich trotzdem, dass wir die besseren Typen sind.«
    »Frauen sehen das leider anders«, sagte Mellas. Er erinnerte sich an den Abend, an dem Anne ihm gesagt hatte, sie könne beim besten Willen nicht nachvollziehen, dass er sich moralisch verpflichtet fühle, sein dem Präsidenten gegebenes Versprechen zu halten. Das Ganze hatte als schönes Essen in der New Yorker Wohnung angefangen, die sich Anne mit zwei ihrer Freundinnen vom Bryn Mawr College teilte. Die beiden hatten sich taktvollerweise entfernt. Anne war richtig in die Vollen gegangen, nicht nur mit der in Speck eingewickelten Hähnchenleber und den Wasserkastanien, sondern auch mit echtem französischem Kaffee aus einer echten französischen Stempelkanne, die sie von ihrem Studiensommer in Paris mitgebracht hatte. Mellas hatte so etwas noch nie gesehen. Er dachte, der beste Zeitpunkt, Anne zu erzählen, dass er seinen Brief an das Marine Corps losgeschickt hatte, wäre beim Kaffee.
    Es gab keinen besten Zeitpunkt. Mellas sah sich mit einer leeren Kaffeekanne in der einen und zwei leeren Bechern in der anderen Hand dastehen und ihre schöne Hinteransicht betrachten. Sie trug den lachsfarbenen Minirock, der ihre schmale Taille betonte und ihren Hintern umschmiegte – einen Hintern, von dem sie wusste, dass er Mellas wild machte.
    »Dabei ist dir der Präsident noch nicht mal sympathisch«, sagte sie. Verärgert wirbelte sie wieder zum Ausguss mit dem schmutzigen Geschirr herum. »Du hast mir selbst gesagt, er ist bloß eine Marionette. Es ist anders, als wenn man einem Menschen etwas

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