Matterhorn
einen Stuhl. Simpson setzte sich. Mulvaney lehnte sich gegen die Kante seines Schreibtisches. Erneut nahm er langsam einen Schluck, dann sah er Simpson an. »Wir sind in einen beschissenen Krieg verwickelt«, sagte er langsam. »Einen beschissenen kleinen Krieg, der das zerreißt, was ich liebe. Lieben Sie das Marine Corps, Simpson?«
»Ja, Sir, das tue ich.«
»Ich meine, lieben Sie es wirklich? Gehen Sie nachts mit ihm ins Bett, stehen Sie morgens mit ihm auf, sehen Sie auch seine unschönen Seiten, sehen Sie es, wenn es krank ist und müde, und nicht bloß, wenn es in voller Pracht dasteht? Denken Sie ständig daran? Oder denken Sie daran, was es Ihnen bringt?«
»Nun ja, Sir, ich …«
»Nein, nein. Ich sage es Ihnen, Simpson. Sie denken daran, was es Ihnen bringt. Sie benutzen es. Entweder das, oder Sie lassen sich von jemand anderem benutzen, damit es dem etwas bringt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
»Ich, ähm …«
»Halten Sie die Klappe.«
»Ja, Sir.«
»Und machen Sie sich keine Sorgen. Das ist meine Privatmeinung. Und nichts davon geht in Ihre Eignungsbeurteilung ein.«
Mulvaney ging zur Wand hinüber und betrachtete ein gerahmtes Foto, das dort hing. Es zeigte einen Zug Marines in Sommeruniformen an einem kalten, regnerischen Tag. Darauf stand »Neuseeland, Juli 1942 «. Mulvaney machte eine Kopfbewegung zu dem Bild hin. Ohne Simpson anzusehen, sagte er leise: »Die Hälfte von den Jungs ist tot.« Er hielt kurz inne. »Viele davon durch meine Schuld.«
Er drehte sich zu Simpson um und sah ihn an. »Amerika benutzt uns wie Huren, Simpson. Wenn es einen guten Fick will, lässt es einen Haufen Geld springen, und wir verschaffen ihm einen Moment des Ruhms. Und wenn der vorbei ist, schleicht sich Amerika zur Hintertür raus und tut so, als ob es uns nicht kennt.« Mulvaney wirbelte das Eis in seinem Glas herum und sah zu, wie es schmolz. »Ja, wir sind Huren«, fuhr er, nun fast wie im Selbstgespräch, fort. »Ich gebe es zu. Aber wir sind gute Huren. Wir verstehen uns aufs Ficken. Wir mögen unsere Arbeit. Also schämt sich der Kunde hinterher. Deswegen hatte man es in dem Beruf schon immer mit Heuchelei zu tun. Wir wissen das.« Mulvaney machte schmale Augen und sah Simpson an. »Aber diesmal will der Kunde nicht ficken. Er will Hoppe-hoppe-Reiter spielen und zur Hintertür reinkommen. Und er reitet uns mit Zaumzeug, Peitsche und Sporen durchs Zimmer.« Mulvaney schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht gut. Uns dreht sich dabei der Magen um. Und es macht uns kaputt.«
Mulvaney verstummte. Simpsons Blick ging zu der Flasche auf dem Schreibtisch, dann rasch zurück zu seinem eigenen leeren Glas.
»Haben Sie sich die Bravo-Kompanie angesehen, als sie heute zurückgekommen ist?«, fragte Mulvaney.
»Ich habe mit Lieutenant Fitch, ihrem Skipper, geredet, Sir.«
»Haben Sie die Leute gesehen, Simpson?« Mulvaneys Stimme begann sich zu heben.
»Nein, Sir.«
»Sie haben ausgesehen wie ausgeschissen.«
»Jawohl, Sir. Ich kümmere mich sofort darum, Sir. Ich rede mit Lieutenant Fitch. Schon seit er auf dem Matterhorn war, überlege ich, ihn abzulösen.«
»Es liegt nicht an Fitch, Simpson.« Mulvaney holte tief Atem und nahm noch einen Schluck. »Sie sind benutzt worden. Auf übelste Weise. Wie lange waren sie draußen im Busch?«
»Meinen Sie mit ›Busch‹ auf einer Feuerunterstützungsbasis mit routinemäßigen Spähtrupps oder tatsächlich auf einer Operation im Dschungel?«
»Ich meine, wie lange ohne regelmäßiges Essen, regelmäßigen Schlaf, Sicherheit, Duschen, Vitamine …« Das letzte Wort war eine in der Schwebe bleibende Frage und eine Anklage. »Es ist mir scheißegal, was Sie tun müssen, um das Zeug zu besorgen, aber morgen Abend werde ich die Mülltonnen der Bravo-Kompanie inspizieren, und ich möchte, dass sie voller Orangenschalen und Apfelgehäuse sind.«
Simpson zückte sein grünes Notizbuch und schrieb etwas auf.
»Verdammt noch mal, Simpson, stecken Sie das weg. Wenn Sie sich nicht mal das merken können …«
»Ja, Sir.« Simpson steckte das Notizbuch wieder ein.
Mulvaney wandte sich von ihm ab. Seine nächsten Worte waren wieder an das Foto gerichtet. »Simpson, ich habe es satt. Ich habe es satt, benutzt zu werden. Für Geld und Politik zu töten, ist Prostitution genug, aber es auf diese Weise zu tun, macht mich krank. Es macht meine Seele krank oder das, was noch davon übrig ist.« Er drehte sich langsam um und zeigte mit einem dicken Zeigefinger
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