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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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Stunde später in dem hohen Gras auf dem Talgrund heraus. Niedrige Wolken, Nieselregen und Dunkelheit verbargen das Matterhorn und die Kammlinie vollständig. Mellas kam es vor, als wären seine Karte und der trübe rote Schimmer seiner Taschenlampe das einzig Wirkliche in einer Finsternis, die nicht nur die Sicht, sondern auch das Denken verdüsterte.
    Sie erreichten den Punkt, an dem Goodwins Zug nach Westen abschwenken musste, um den Aufstieg auf dem ihm zugewiesenen Ausläufer zu beginnen. Alle legten leise ihr Marschgepäck ab. Auf diese Weise sparten sie beim Aufstieg Energie, waren bei Gefechtsbeginn leichter zu sofortigen, schnellen Bewegungen imstande und vermieden unnötigen Lärm. Sie nahmen nur Wasser – bis zum oberen Rand gefüllte Feldflaschen, um Schwappgeräusche zu vermeiden – und zwei Dosen Essen mit, sorgfältig in Socken eingewickelt, damit sie nicht schepperten, wenn sie aneinanderstießen. Munition wurde in Stofftaschen verstaut. Die Gesichter wurden mit Lehm und Erde beschmiert.
    Auch ohne die Last ihres Marschgepäcks bewegten sie sich sehr langsam. Die kleinsten Geräusche dröhnten wie Glocken. Unsichtbare Zweige schlugen nach ihren Augen. Der kalte Nebel hüllte sie ein. Die Jungs unterdrückten Flüche, während sie nach dem Boden vor ihnen tasteten. Leise schoben sie sich Zweige aus dem Gesicht, drängten das Bedürfnis zurück, ihrem Zorn über den Schmerz Luft zu machen. Sie krochen über umgestürzte Bäume, zwängten sich durch dichtes Gestrüpp. Sich im Dunkeln leise zu bewegen braucht sehr viel Zeit. Zu viel Zeit. Der Morgen graute.
    Eine Explosion vor den Hauptangriffskräften ließ alle volle Deckung nehmen. Ein langer heulender Schrei hing in der Luft. Samms, unmittelbar hinter Mellas, stand auf und flüsterte: »Stopf jemand dem Arsch das Maul. Stopf dem Blödmann das Maul.« Der Erste und Dritte Zug hatten den Vorteil des Überraschungsmoments verloren.
    Der Schrei brach jäh ab.
    Nach diesem qualvollen Geräusch glich die Stille des Dschungels äthergetränkter Watte: betäubend, beklemmend, gefährlich. Alle fragten sich, was solchen Schmerz verursacht und was ihn beendet hatte.
    Beendet hatte ihn Jancowitz, der die Augen zugekniffen und die Faust in das Loch gestoßen hatte, das vom weggerissenen Unterkiefer des Jungen übrig geblieben war, der an der Spitze marschiert war. Die Schrapnells der DH 10 -Richtmine hatten ihm Augen und Unterkiefer weggerissen, aber seine Stimmbänder intakt gelassen. Ein Fuß war ebenfalls abgerissen worden.
    Jancowitz zog seine blutige Hand aus der klaffenden Öffnung im Hals des Jungen. Ein Stück Kieferknochen mit zwei Zähnen blieb an dem Opalring hängen, den Susi ihm gekauft hatte. Fredrickson eilte herbei und drückte mit einer Hand die spritzende Schlagader ab, während er sich mit der anderen abmühte, ein dickes Verbandspäckchen gegen den Stumpf des Unterschenkels zu pressen.
    Jancowitz berührte Fredrickson an der Schulter und schüttelte ihn sanft. »Lass ihn sterben, Doc«, sagte er.
    Fredrickson zögerte, dann nahm er die Hand von der Arterie. Das Blut strömte rasch heraus, spritzte aber nicht mehr.
    »Wer war das?«, fragte Fredrickson leise, das Gesicht blutverschmiert. Das Gesicht vor ihm war unkenntlich.
    »Broyer.«
    Fracasso, der beklommen Fredricksons Bemühungen verfolgt hatte, trat unwillkürlich zurück und stieß gegen Hamilton. »Entschuldigung«, murmelte er.
    Sie wickelten Broyers Leiche in seinen Poncho und steckten seine schwarze Plastikbrille in die Tasche seines Tarnhemds. Dann rollten sie die Ränder des Ponchos auf, damit ihre Hände Halt daran fanden. Fredrickson notierte die Medevak-Nummer und die Todesursache in seinem Notizbuch.
    Fracasso beorderte Jacobs’ Gruppe nach vorn. Sie bewegten sich weiter mühsam vorwärts, um in Angriffsposition zu gelangen, immer in der Gewissheit, dass sich kein Überraschungsmoment mehr zu ihren Gunsten auswirken würde. Ihre Hoffnung richtete sich nun vor allem auf Goodwin, wenn dieser sich nur unbemerkt den Hügel hinaufarbeiten konnte.
    Der Nebel umwallte sie. Die Angst vor Minen begleitete jeden Schritt. Broyers Leiche verlangsamte ihr Tempo beträchtlich.
    Big John Six war fuchsteufelswild.
    »Es ist schon fast null acht dreißig. Die hätten schon vor drei Stunden an ihrer Ablauflinie stehen müssen. Ich hab gewusst, ich hätte diesen verdammten Fitch absägen sollen.«
    Hawke, der das Ganze mitbekam, wusste, dass Fitch nur mit sehr viel Glück die Ablauflinie

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