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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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schieben wollte. Dem Nordvietnamesen war im falschen Moment die Dunkelheit ausgegangen.
    Mellas warf die Beine nach hinten, sodass er in seinem eigenen Kot landete, und gab einen Feuerstoß ab. Das M 16 blitzte. Zuerst schien es, als erreichten die Kugeln den Mann gar nicht, dessen Augen Mellas unverwandt anstarrten. Doch dann erbebte seine Brust, und sein Kopf ruckte unnatürlich nach hinten. Das Gesicht am Boden, stöhnte Mellas auf, dankte Gott dafür, dass er noch lebte, und es war ihm egal, dass er einen Menschen getötet hatte.
    Das Gewehr feuerbereit, war Jackson herumgewirbelt. »Alles in Ordnung?«, flüsterte er.
    »Ja«, antwortete Mellas. Er kroch von seiner Scheiße weg, um sich nicht auch den Rest des Körpers damit zu beschmieren. Er wischte sie sich mit der Hand von Bauch und Oberschenkeln, dann rieb er die Hand im Morast, um sie zu säubern. Er richtete sich in kniende Haltung auf und zog sich seine dreckigen, nassen Hosen wieder an.
    Er robbte zu dem Toten. Er hatte ihn genau zwischen die Augen und oben an den Schultern getroffen. Er fühlte sich zu zittrig, um aufzustehen, zwang sich jedoch in eine kauernde Haltung. Alles schien noch einwandfrei zu funktionieren. Er war stolz auf sich. Genau zwischen die Augen.
    Als es heller wurde, bewegten er und Jackson sich die Stellungen entlang, um Schützenloch für Schützenloch den Schaden zu ermitteln. Der kleine offene Bunker, den Young aus Baumstämmen und Ästen für sein Maschinengewehr gebaut hatte, war von einer Rucksackladung zerstört worden. Mole saß auf dem Holz- und Blätterhaufen. Tränen liefen ihm übers Gesicht, während er in das Loch starrte. »Es ist Young, Sir«, wiederholte er immer wieder. »Der kleine Young.«
    Die Rucksackladung hatte nicht viel von den drei Mann übrig gelassen, die sich die Stellung geteilt hatten. Am Holz und an den Wänden des Lochs klebte Fleisch. Das Maschinengewehr war verbogen.
    Mellas konnte das Ganze nur anstarren, als wäre es ein Bilderrätsel, unfähig oder unwillig, schlau daraus zu werden. Jackson stand hinter Mole, legte ihm beide Hände auf die Schultern und wiegte ihn sanft, während er dasaß und die Beine in die Grube baumeln ließ.
    Sie zogen den toten Marines die Ponchos vom Gürtel, der die zermalmten Oberkörper noch umschloss, um sie als Leichensäcke zu verwenden. Sie hatten keine Ahnung, ob die richtigen Körperteile zu den richtigen Ehefrauen oder Eltern nach Hause gelangen würden, aber sie konnten nichts weiter tun, als jeweils einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine zusammen in einen Poncho zu legen. Während Mellas dabei half, die Toten zum Rand der kleinen LZ hinaufzuschleppen, sah er Männer, die ihren Poncho ableckten. Seine eigene Zunge fühlte sich dick und wattig an. Er senkte den Blick, um festzustellen, ob sich auf den Ponchos der Toten, die er schleppte, Feuchtigkeit niedergeschlagen hatte, unterdrückte diesen Drang aber rasch. Bei dem Leichenstapel angelangt, legte er die Körperteile dazu. Er fragte sich, ob es in den Konzentrationslagern irgendwann so gewesen war. Hatten sie irgendwann den Punkt erreicht, an dem das Grauen keine Gewalt mehr über sie hatte? Er eilte zu seinem Schützenloch zurück, leckte seinen eigenen Poncho ab, schmeckte den Gummi, ohne dass sein Durst gestillt wurde.
    Mole meldete sich freiwillig zur Übernahme der kritischen MG -Stellung, die der NVA nun bekannt war. Sein eigenes MG verlegte er von einer weniger kritischen Stelle zur Position der Zweiten Gruppe. Er musste mit seinem K-Bar-Messer Blut und Fleischstücke von den Wänden der Grube abkratzen.
    Die toten Nordvietnamesen wurden den Hang hinunter zu denen des vorherigen Gefechts geworfen. Das Einsetzen der Leichenstarre zwang sie in die absonderlichsten Haltungen. Bald machten sich die Fliegen über sie her.
    Nachdem er jeden auf Fußbrand überprüft, die Munition der Toten verteilt und dafür gesorgt hatte, dass jeder trotz der Schluckschwierigkeiten seine Malariatabletten nahm, schaute Mellas bei dem Bunker vorbei, in dem Kendall und Genoa nach Luft schnappten. Im Kerzenlicht, das den dunklen Bunker erhellte, war Kendalls glattes Gesicht kreideweiß. Man hatte ihm die Brille abgenommen; ohne die gelben Schutzgläser sah er jünger aus. Er lag auf der Seite und japste wie ein Fisch auf dem Trockenen. Genoa ging es genauso.
    Kendall versuchte zu lächeln. »Ich schätze – irgendwer hat – gerufen – oder ich war’s.« Die Worte kamen als kurzes, gequältes Keuchen, aber Kendall wollte

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