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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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reden, um zu vergessen, dass er im Sterben lag.
    Mellas sah Genoa an, der kaum mehr bei Bewusstsein war, obwohl seine Augen weit aufgerissen und voller Angst waren. Er röchelte stetig. Sheller, der hinter den beiden einen anderen Verwundeten versorgte, fing Mellas’ Blick auf, schaute vielsagend auf den Nebel und dann auf Genoa und schüttelte langsam den Kopf.
    Kendall japste erneut, dann fuhr er fort. »Und ich – hab gesagt – ich bin’s – Lieutenant – hah …« Er versuchte zu lachen, spuckte stattdessen aber Blut.
    Sanft wischte Mellas Blut und Speichel ab. Dann wischte er sich die Hand an der Hose ab, die noch von seiner Scheiße feucht war.
    »Also«, fuhr Kendall fort, »wenn das – nicht scheiß – dämlich war.« Er schnappte nach Luft. »Genoa auch – meine Schuld – tut mir leid.«
    »Vergeben und vergessen«, sagte Mellas lächelnd. »Einige müssen es eben auf die harte Tour lernen. Außerdem, so dämlich kann’s auch nicht gewesen sein. Immerhin kommst du jetzt nach Hause und siehst Kristi, und Genoa wird sich in Kalifornien dumm und dämlich vögeln.« Er griff mit der linken Hand nach Kendalls Handgelenk und legte ihm die rechte auf die Stirn, als überprüfte er bei einem Kind die Temperatur.
    Kendall blickte zu Mellas auf, seine Augen huschten hin und her. Er fühlte sich so allein. Er sah Genoa an. Sie lagen auf der Seite, damit sich Blut und Flüssigkeit in dem zerschossenen Lungenflügel sammelten und der noch intakte nach Luft ringen konnte. Doch dieser musste doppelt so schnell pumpen, um den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Es kostete die beiden Marines alle Kraft.
    »Heute – irgendwelche – Vögel?«, japste Kendall.
    Mellas grinste und setzte sich auf die Fersen. »Scheiße, anscheinend glaubt hier jeder, ich wäre die Flugverkehrskontrolle«, antwortete er sanft. »Klar kommen welche. Sowie der Nebel sich verzieht.«
    »Nebel«, keuchte Kendall. Er konzentrierte sich wieder auf seine Atmung. Pfeifend sog er Luft ein und keuchte dabei, als hätte er gerade einen Wettlauf bestritten. Plötzliche Angst huschte ihm übers Gesicht. »Ich – hab mich immer – gefragt, wie ich – mal sterbe«, röchelte er.
    »Quatsch«, sagte Mellas. »Du stirbst nicht. Scheiße, eine Brustverletzung wieder hinzukriegen, ist ein Klacks.«
    »Mellas – ich – hab noch nicht mal – ein Kind. Ich weiß kaum – wie das ist – verheiratet zu sein – bloß vier Wochen.« Kendall brauchte unerträglich lang, um seine Gedanken zu Ende zu bringen. Am liebsten hätte Mellas ihn allein gelassen und sich wieder damit beschäftigt, die Munition neu zu verteilen und zu überlegen, wie die Angriffswege abzudecken waren, jetzt da Youngs MG zusammen mit dem größten Teil der Munition weg war.
    »Mellas?«
    »Ja, Kendall?«
    »Mellas – verarsch mich nicht. Kein Hubschrauber – ich bin tot.«
    Mellas biss sich auf die Lippe, ohne etwas zu sagen. Er schaute Kendall in die Augen.
    »Verarsch mich nicht – okay?«
    »Nein. Bestimmt nicht, Kendall.«
    Erschöpft verstummte Kendall. Er rang weiter nach Luft.
    Sheller kam herüber, ging zwischen Kendall und Genoa in die Hocke, nahm die Infusionsflasche bei Genoa ab und schloss sie bei Kendall an. Er sah Mellas an. »Das Zeug geht uns allmählich aus. Wenn es endgültig alle ist, sterben mir die Leute. Wo steht es auf der Prioritätenliste?«
    »Ganz oben«, sagte Mellas. »Bei der Munition.«
    »Hoffentlich kommt das Scheißzeug bald.«
    Mellas kehrte zu seinem Schützenloch zurück und setzte sich hin, Jackson zu seiner Linken, Doc Fredrickson in einem anderen Loch zu seiner Rechten. Sie starrten in den Nebel und lauschten den Grabgeräuschen überall um sie herum. Die NVA rückte nicht ab.
    Sie konnten nichts weiter tun, als im Nebel zu sitzen und den Grabgeräuschen und dem Keuchen von Kendall und Genoa zu lauschen. Mellas starrte auf das graue Nichts vor ihm. Immer wieder überlegte er, wie er sich zur VCB zurückkämpfen würde, wenn sie überrannt wurden.
    Erneut zählte er die MG -Munition. Sie reichte für etwa eine Minute Dauerfeuer – einschließlich der beiden erbeuteten russischen 7 . 62 er. Die Gewehrmunition hatten sie gleichmäßig aufgeteilt, sodass sich etwa ein Magazin pro Mann ergab. Eines zu leeren, brauchte nur drei schnelle Feuerstöße. Mellas fragte sich, ob er seine gesamte Munition aufheben, überhaupt nicht schießen und durch die Dunkelheit und das Grauen davonrobben sollte, wenn die NVA sie angriff. Marines

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