Matterhorn
Moment lang schaute sie auf ihre nackten Füße. Mellas konnte nicht anders, als ihrem Blick zu folgen. Einen Sekundenbruchteil lang verweilten seine Augen auf ihren Waden, ehe sie sich auf ihre roten Zehennägel richteten.
»Also, T. S.«, sagte Elsked und blickte freundlich auf. »Oder darf ich Sie Waino nennen? Komischer Name.«
Mellas spürte, wie er vor Verlegenheit errötete, weil sie offenbar alles über sein Aufeinandertreffen mit ihrer Zimmergenossin erfahren hatte – und vor Freude, weil sie seinen Namen kannte.
»Sagen Sie ruhig Waino«, sagte er.
»Ich heiße Karen. Ich wette, das haben Sie nicht gewusst.«
»Das habe ich tatsächlich nicht, Lieutenant Elsked.«
»Wenn ich im Bademantel bin, dürfen Sie Karen zu mir sagen.«
Es trat ein angenehmes, verlegenes Schweigen ein, das nur die dezidiert geräuschvolle Bewegung unterbrach, mit der Elskeds Mitbewohnerin ihre Lage wechselte.
Mellas sprang ins kalte Wasser. »Jemand hat mein Schwert geklaut.«
Dunn warf die Decke zurück und drehte sich zu Mellas. »Ich habe die Schnauze gestrichen voll von diesem verdammten Schwert. Und jetzt machen Sie kehrt und verschwinden von hier. Wenn Lieutenant Elsked nicht wäre, würde ich Sie unter Arrest stellen lassen.«
Mellas spürte, wie seine übliche Wut in ihm aufwallte, doch diesmal beherrschte er sich. Er wandte sich an Elsked. »Ich brauche Ihre Hilfe. Ich bin zu jedem gegangen, der mir nur einfiel. Es ist verschwunden. Ich habe keine Empfangsbestätigung. Es gibt keine Möglichkeit, es ausfindig zu machen. Ein HM - 1 namens Bell war der Letzte, den ich damit gesehen habe.«
»Und was soll Lieutenant Elsked da machen, Lieutenant?«, fragte Dunn.
Mellas holte langsam und tief Atem. Sein Blick hielt weiter den von Elsked fest. Sie betrachtete ihn klinisch nüchtern. »Ich dachte, Sie wüssten vielleicht, wie man es finden könnte«, sagte er. »Wenn sie herumfragen – bei den Sanitätern zum Beispiel –, vielleicht haben die es ja gesehen. Irgendwer muss es schließlich haben.«
»Okay. Morgen auf meiner Schicht frage ich herum.«
Mellas schüttelte den Kopf. »Das ist zu spät. Ich habe einen Marschbefehl für morgen.« Die Angst verursachte ihm Magendrücken.
Elsked sah ihn eingehend an. »Wie lange müssen Sie denn noch?«
Mellas’ Denken setzte aus. »Welcher Tag ist heute?«
Elsked lachte. »Donnerstag, der dritte April, wenn es nicht schon nach Mitternacht ist. Kommenden Sonntag ist Ostern.«
Mellas sah auf seine rechte Hand und bewegte die Finger. »Dreihundertvier Tage und einmal Aufwachen«, sagte er schließlich. Es klang wie lebenslänglich. »Wenn ich die ganze Nacht wach bleibe. Sonst noch zweimal Aufwachen.« Er zwang sich zu einem Lächeln.
Ihr Gesicht zeigte Freundlichkeit. »Das ist lange.«
»Ja.«
»Das Auge okay?«
Er nickte.
»Die Beine?«
Er nickte erneut.
Das Licht in ihren Augen wurde wärmer. Wieder senkte sie den Blick auf ihre Beine. Mellas’ Blick folgte. Ihre Beine waren sehr wohlgeformt.
»Warum ist das Schwert so wichtig?«, fragte sie.
»Jemand ist gestorben …« Mellas hielt inne. Er sah, wie Vancouver den Hinterhalt zunichtemachte und ihm damit wahrscheinlich das Leben rettete. Wie viele verdankten diesem Krieger ihr Leben? »Ich weiß nicht. Es ist einfach so.« Er hielt inne. »Sie hätten dort sein müssen.«
»Herr des Himmels, es ist ein Souvenir«, sagte Dunn. Sie hatte sich unter der Decke einen blauen Bademantel angezogen. Nun erhob sie sich aus der Koje, baute sich vor ihm auf.
»Irgendwie ist es schwer zu erklären«, sagte Mellas. Ihn ärgerte, dass Dunn das Schwert für etwas Triviales hielt, aber er beherrschte sich.
»Das glaube ich gern, dass das schwer zu erklären ist«, sagte Dunn. Ihre ohnehin schon kleinen Augen waren noch schmaler geworden. Sie griff nach einer Uniform und einem Paar kleiner schwarzer Stiefel mit dicken Gummisohlen. »Los, komm, Karen.«
»Wo willst du hin?«, fragte Elsked.
»Den Wachhabenden holen.« Dunn drehte ihnen den Rücken zu und zog unter dem Bademantel ihre Hosen an. Dann drehte sie sich um, den Bademantel vorn zusammengerafft.
»Er hat nichts Schlimmes getan«, sagte Elsked ruhig, aber bestimmt.
»Nur dass ihm der Zutritt hier verboten ist. Vom Nichtbefolgen eines direkten Befehls und Respektlosigkeit gegenüber einem ranghöheren Offizier ganz zu schweigen.« Dunn setzte sich auf die Koje und zog sich ein Paar khakifarbene Socken und ihre Schuhe an, bemüht, ihren Bademantel geschlossen zu
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