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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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hier machen«, sagte sie. Ihre Hand schob sich über den Tisch auf ihn zu, doch dann bremste sie sich und legte beide Hände um ihre Kaffeetasse. »Wir reparieren Waffen.« Sie zuckte die Schultern. »Im Augenblick sind Sie ein kaputtes Lenksystem für vierzig Gewehre, drei Maschinengewehre, ein paar Mörser, mehrere Geschützbatterien, Schiffsgeschütze von dreierlei Kaliber und vier Arten von Kampfflugzeugen. Unser Job besteht darin, Sie so schnell wie möglich zu reparieren und ins Gefecht zurückzuschicken.«
    »Ich weiß. Ich komme mir nur gerade nicht wie eine Waffe vor.«
    »Was glauben Sie denn, wie oft ich mir wie eine Mechanikerin vorkomme?«, schoss sie zurück. Dann wurde sie etwas sanfter. »Dafür bin ich jedenfalls nicht Krankenschwester geworden.« Die Hände seitlich an die Stirn gelegt, stützte sie die Ellbogen auf dem Tisch auf. »Manchmal hab ich das Ganze so satt.« Sie blickte zu ihm auf und war nun keine Navy-Krankenschwester mehr, sondern nur noch eine erschöpfte junge Frau. »Es kommen zu viele junge Kerle an Bord«, sagte sie schließlich. »Sie sind einsam. Sie haben Schmerzen. Sie haben Angst vor dem Sterben.« Sie hielt inne. »Wir können nur die Körper zusammenflicken. Was das ganze andere« – sie suchte nach einem Wort – »Zeug angeht, versuchen wir, Distanz zu halten. Das ist nicht leicht.«
    »So ist das«, sagte Mellas. Sie wühlte gerade sämtliche Gefühle auf, die er zu Beginn der Mahlzeit gehabt hatte. Er hatte Angst, dass er etwas Falsches sagen und sie dann gehen würde, also schwieg er.
    Sie brach das Schweigen. »Die schicken Sie zurück in den Busch, stimmt’s?«
    Mellas nickte.
    Sie seufzte. »Ich mache meine Arbeit gut, und die Folge ist, dass Sie ins Gefecht zurückgeschickt werden.«
    »Ziemliches Dilemma.«
    »Aber lang nicht so schlimm, wie in den Busch zurückzugehen.«
    Wieder lächelte Mellas sie an. Er fühlte sich verstanden. Er hatte das Gefühl, mit ihr reden zu können.
    »Diesmal ist es anders«, sagte er. »Ich weiß, was mir bevorsteht.« Er schluckte, blickte auf und atmete dann kurz aus. »Ich habe Angst, zurückzugehen.« Er sah sie an, befürchtete, vielleicht eine Grenze überschritten, zu viel preisgegeben zu haben. Er strich sich mit der Handfläche über das unverbundene Auge, sperrte das gedämpfte Licht der Messe aus. Bilder stellten sich ein: steife, verkrümmte Körper, das Entsetzen in Jacobs’ Gesicht, ein Bein, aus dem Blut spritzte.
    »Erinnern Sie sich noch an das Gefühl, das man beim Brombeerenpflücken hatte?«, fragte er. »Sie wissen schon, wenn man mit Freunden loszieht, und die Großmutter von jemandem kommt mit und backt hinterher einen Kuchen, wenn man nach Hause kommt, und die Luft ist so warm, dass es einem so vorkommt, als wäre alles, die ganze Natur, ein einziger wohlriechender Backofen.«
    Sie nickte lächelnd. »Kommt mir vertraut vor.«
    »Es gab da eine tolle Ecke«, fuhr Mellas fort, »in der Nähe der Müllkippe von der kleinen Holzfällerstadt, in der ich aufgewachsen bin.« Er strich die Tischdecke glatt. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr. »Es ist, als käme plötzlich ein Wagen mit sechs kräftigen Kerlen angerast. Man steht da mit seinem Pflückeimer in der Hand, zusammen mit dieser netten alten Frau, und plötzlich kriegt man es mit der Angst zu tun. Die Kerle haben alle getrunken. Ihre Gesichter sind von Masken verdeckt. Sie haben Gewehre. Einer nimmt die Pflückeimer und wirft sie am Straßenrand auf den Boden. Sie schubsen einen herum. Dann nehmen sie einen mit zur Müllhalde und lachen dabei leise, als freuten sie sich auf einen großen Spaß. Sie verkünden, dass man jetzt zusammen ein Spiel spielt. Die Regeln sehen folgendermaßen aus.« Mellas drückte bedächtig ein Buttermesser gegen das weiße Tischtuch. »Wir, die Jungs, müssen einmal quer durch die Müllhalde kriechen. Jedesmal, wenn wir eine Dose finden, deren Deckel wir nicht sehen können, müssen wir sie aufheben und den Männern mit den Gewehren zeigen. Wenn sich herausstellt, dass die Dose leer ist, dürfen wir weitermachen. Falls sie noch nicht geöffnet ist, werden wir erschossen. Wir wühlen uns durch den Müll. In der Müllkippe schwelt immer ein Feuer. Von dem Rauch muss man husten und kotzen. Die Aufgabe der alten Großmutter besteht darin, jedem von uns, dem eine originelle oder geschickte Art einfällt, die Dose hochzuhalten, Wasser zu bringen. Wir bekommen sogar ein buntes Bändchen, wenn wir uns besonders geschickt

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