Matterhorn
alles, um den chemischen Geschmack des Wassers in ihren Feldflaschen zu überdecken. Mit ihren rot und orange verschmierten Lippen und mit der Angst in ihren Augen sahen sie aus wie Kinder, die von einem Geburtstag zurückkommen, auf dem die Gastgeberin Horrorfilme gezeigt hat.
Als sie mittags Rast machten, bildeten sie einen kleinen Verteidigungsring. Jancowitz, Mellas und Hamilton lagen beim Funkgerät auf dem Boden und aßen C-Rationen. Die leeren Dosen warfen sie an Ort und Stelle weg. In der schwülen Luft erschienen Fliegen und Stechmücken. Erneut besprühte sich Mellas mit Insektenschutzmittel. Es brannte heftig, wo die Haut von kleinen Verletzungen und Insektenstichen wund war. An seinem rechten Bein fand er zwei Blutegel. Mit Pappstreichhölzern verbrannte er sie bei lebendigem Leib, während er Dosenpfirsiche aß.
Schon vom Schlafmangel müde, hatte er nun auch mit körperlicher Erschöpfung zu kämpfen: Er hatte sich durch fast undurchdringliches Unterholz gearbeitet, war morastige, rutschige Hänge hinaufgestapft, um eine Kammlinie zu erreichen, hatte nach Spuren und Hinweisen gesucht. Er war von Schweiß und Regen durchnässt. Plackerei. Gewicht. Fliegen. Schnittverletzungen. Vegetation.
Wo sie sich befanden und warum, interessierte ihn längst nicht mehr. Er war froh, dass er neu war und Jancowitz noch immer mehr oder weniger das Sagen hatte, obwohl er sich dieser Empfindung schämte. Noch dreihundertneunundachtzig Tage und einmal Aufwachen.
Irgendwann stießen sie auf eine Wand aus Bambus, die nicht zu umgehen war. Sie lag zwischen ihnen und einem Kontrollpunkt, der Kammlinie, auf der sich möglicherweise das NVA -Maschinengewehr befand. Sie mussten sich hindurchhacken. Jede Sicherheit ging zum Teufel, als der Mann an der Spitze eine Machete zückte und ein Loch in den Bambus schlug. Bald befanden sie sich in einem Bambustunnel. Das Gelände stieg an. Es wurde steiler. Sie rutschten immer wieder aus. Der Mann mit der Machete wurde müde, ein anderer löste ihn ab. Sie brauchten eine Stunde, um zweihundert Meter weit zu kommen.
Plötzlich erstarrte Williams, der Mann an der Spitze und sank dann langsam auf ein Knie, das Gewehr im Anschlag. Von seinem Rücken stieg Dampf auf. Alle verharrten mitten in der Bewegung, lauschten angestrengt, versuchten ihre Atemgeräusche zu unterdrücken. Jancowitz schlich nach vorn, um festzustellen, was los war. Hamilton, ein guter Funker, bewegte sich ebenfalls nach vorn, als wäre er ein Teil von Jancowitz’ Körper. Mellas folgte.
»Hörst du das, Janc?«, flüsterte Williams. Er zitterte, sein Gesicht war angespannt. Sie hatten am Hang eines Kamms haltgemacht. Ein Bach rann durch dichtes Unterholz und zwischen Pflanzen mit breiten Blättern. Mellas lauschte angestrengt, um trotz seines Atemgeräuschs und seines hämmernden Herzens etwas zu hören. Bald konnte er leises Schnauben, gedämpfte, hustenähnliche Laute und ein Knacken und Splittern von Zweigen ausmachen.
»Was ist das?«, flüsterte er.
»Gook-Laster, Sir«, sagte Daniels leise. Er hatte so leise zu Mellas aufgeschlossen, dass er ihn mit seinem Flüstern erschreckte. Mellas sah, dass Daniels grinste und sein Mund von Choo Choo Cherry rot verschmiert war, was seine geröteten Wangen noch hervorhob.
»Gook-Laster?«, fragte Mellas. »Was reden Sie da?« Er drehte sich zu Jancowitz um, der ihn leicht amüsiert betrachtete.
»Elefanten, Sir«, sagte Jancowitz.
»Die Gooks transportieren damit alles Mögliche«, sagte Daniels.
Inzwischen hatten sich alle entspannt, und die Gruppe hatte sich bereits in Schützenreihe aufgestellt, bei der die Blickrichtung alle zwei Mann wechselte. Jancowitz deutete auf Pollini und Delgado, einen Chicano mit sanften Augen, den alle Amarillo nannten, weil das seine Heimatstadt war. Die beiden rappelten sich widerstrebend auf und robbten jeweils nach einer Seite von der Gruppe weg, um als Außenposten zu fungieren.
»Und nun?«, fragte Mellas. Er war sich auf unbehagliche Weise bewusst, dass ihm Ärger bevorstand.
»Meinen Sie nicht, wir sollten einen Einsatz anfordern, Sir?«, fragte Daniels.
»Artillerieeinsatz? Gegen ein paar Elefanten?«
»Das sind Transportmittel der Gooks, Sir.«
Mellas sah Jancowitz an. Er erinnerte sich an einen Major in der Basic School, der ihm gesagt hatte, er solle Sergeants und Gruppenführern vertrauen – sie wüssten, wie der Hase lief. Der Major hatte nicht erwähnt, dass die Sergeants neunzehnjährige Lance Corporals waren.
»Er
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