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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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Rücken. Er fing zu beten an, bat Gott, Wind und Regen ein Ende zu machen, damit er etwas hören konnte. In diesem Moment streckte Williams im Dunkeln die Hand aus und klopfte ihm sanft auf den Rücken.
    In jener Nacht machte Gott dem Wind und dem Regen kein Ende. Am nächsten Tag jedoch hörte es zwei Stunden lang zu regnen auf, und sechs Hubschrauber schafften es ohne Zwischenfall bis zu ihnen, brachten Marines, die aus dem Krankenhaus oder aus dem Diensturlaub zurückkamen, Verstärkungen, Wasser, Proviant und Munition. Daneben kam noch eine große Menge C 4 -Sprengstoff, mit dem die Bergkuppe für das Eintreffen der Golf-Batterie präpariert werden sollte – deswegen hatte man die Bravo-Kompanie ja überhaupt erst auf das Matterhorn geschickt.
    Mellas gewöhnte sich an die angespannte Monotonie der Spähtruppunternehmen. Die Tage glitten vorbei, zum Glück ohne Feindberührung. Irgendwann traf die Geschützbatterie ein, sprengte sich Stellungen aus dem Lehm und hob Bunker für ihren Feuerleitstand aus. Das Matterhorn war kahl, aller Bäume beraubt. Es gab nichts Grünes mehr auf dem Terrain, das sich langsam in ein Ödland aus durchweichten, weggeworfenen C-Ration-Kartons, Latrinengruben, vergrabenem und verbranntem Müll, weggeworfenen Zeitschriften von zu Hause, kaputt geschlagenen Munitionspaletten und ausgefransten Plastiksandsäcken verwandelte. Ganze Abschnitte von zuvor dichtem Dschungel lagen nun bloß, und die zerfetzten Äste und verdorrten Stümpfe wurden aschgrau und lagen wie die Gebeine toter Tiere unter dem bedeckten Himmel. Ein kleiner Bulldozer planierte die Kuppe. Dann kamen die Haubitzen, die wie Angelgewichte an den Hubschraubern baumelten, die sie einflogen. Schon wenige Stunden nach ihrem Eintreffen feuerten die großen Geschütze, und ihre heftigen Explosionen schmerzten in den Ohren, durchbebten den Körper und machten in der Nacht kostbaren Schlaf zunichte.
    Eine schwere Salve der gesamten Batterie, die ein einziges Mal auf ihr Ziel feuerte, riss Mellas aus dem Schlaf. Es war knapp über eine Stunde her, dass er nach der letzten Schützenloch-Inspektion in seinen Unterschlupf gekrochen war. Adrenalin jagte durch seinen Körper. Er versuchte, sich zu beruhigen, holte tief und langsam Atem. In der völligen Dunkelheit regnete es in Strömen, und die aus Kabel bestehenden Verankerungen der Unterschlupfe knallten bei jedem Windstoß. Mellas zog sein durchweichtes Ponchofutter enger um sich, drehte sich auf eine Seite und zog die Knie an die Brust, bemüht, das bisschen warme Feuchtigkeit, das ihm geblieben war, nicht ins Dunkel entschwinden zu lassen.
    Kein Spähtrupp heute. Es war wie eine Gnadenfrist.
    Das Eintreffen der Batterie hatte den Berg für die NVA zu einem erheblich lohnenderen Ziel gemacht, weshalb Fitch den Radius der Spähtruppunternehmen ausgeweitet hatte, um mehr Gelände abzudecken. Das zwang die Spähtrupps, schon im Morgengrauen aufzubrechen, und bei ihrer Rückkehr blieb ihnen fast kein Tageslicht mehr. Die Anspannung, die sich aus der Möglichkeit von Feindkontakten ergab, sorgte in Verbindung mit der lähmenden Erschöpfung dafür, dass alle bei Einbruch der Nacht ausgelaugt und gereizt waren. Die Leute schliefen auf Wache ein. Mellas ertappte sich dabei, dass er sich, um der Langeweile entgegenzuwirken, Spähtrupprouten ausdachte, bloß um unterschiedliche Geländemerkmale zu sehen. Tatsächlich war er hin- und hergerissen: Er wusste nicht, ob er seine Spähtrupps so planen sollte, dass er es vermied, jemanden zu finden, oder so, dass er das NVA -Maschinengewehr fand und dadurch den Colonel auf sich aufmerksam machte. Er drehte sich auf die andere Seite, immer noch unwillig, sich aus dem Ponchofutter zu schälen. Er sah sich selbst, wie er einen Maschinengewehr-Trupp der NVA überrumpelte, während die Leute gerade ihren Reis aßen, wie er sie mit seinem Leuten geräuschlos umzingelte und die ganze Gruppe gefangen nahm. Dann führte er sie ab, holte Unmengen von Informationen aus ihnen heraus und wurde hinterher vor dem Colonel und seinem Stab belobigt. Vielleicht brächte die Zeitung zu Hause einen Bericht über seine Großtat – Bekanntheit war wichtig –, und er bekäme einen Orden. Auf einen Orden war er ebenso scharf wie auf den Posten des Kompaniechefs.
    Eine weitere Salve ließ Boden und Luft erzittern und seinen Tagtraum abreißen. Er starrte, jetzt vollkommen wach, in die Schwärze und konzentrierte sich auf das Problem, wie er Jancowitz ersetzen sollte,

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