Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
Vom Netzwerk:
der demnächst in Urlaub ging. Er hatte Unterricht im Lesen von Landkarten zu geben, einen Dschungel zu roden und noch mehr Stacheldraht auszulegen, aber keinen Spähtrupp. Heute kein Spähtrupp.
    Er warf das dünne Nylonfutter zur Seite, und als er sich aufsetzte, berührte er mit dem Kopf die über ihm befestigten Ponchos. Das speckige, mit Tarnmuster versehene Futter roch wie Urin. Er auch. Mellas lächelte. Im Dunkeln knüpfte er seine durchweichten Schnürsenkel auf und zog an einem nassen Stiefel. Der Stiefel löste sich von der klammen Socke, die teilweise steif war vom sich zersetzenden Blut alter Blutegelwunden. Er streifte die Socke vorsichtig herunter – besonders an den Stellen, wo Wolle, Haut und Blut von Blutegelbissen und Dschungelfäulegeschwüren miteinander verklebt waren. So, wie sein Fuß sich anfühlte, stellte er sich vor, dass er wie die Unterseite eines Pilzes aussehen musste. Ein plötzlicher Windstoß fegte noch mehr Regen gegen die Ponchoplanen. Zur Abwehr gegen Fußbrand begann er, sich die Füße zu reiben. Während der Ausbildung hatte er Bilder davon gesehen. Wenn der Fuß ständig in kaltem Wasser war, zog sich das Blut daraus zurück. Dann starb er am Bein ab und faulte, bis er entweder amputiert wurde oder der Wundbrand dem Rest des Körpers den Garaus machte. Plötzlich bekam Mellas Gewissensbisse, weil er die Füße der Männer nicht überprüft hatte. In seiner Eignungsbeurteilung würde es sich schlecht machen, wenn er viele Fälle von Fußbrand hatte.
    Zwei Stunden später gab er der Dritten Gruppe Unterricht im Lesen von Landkarten, und dass er hier in seinem Element war, hob seine Stimmung.
    »Also gut«, sagte er, »wer kennt den Abstand zwischen den Höhenlinien?« Ein paar Hände hoben sich. Mellas freute sich; den Jungs schien der Unterricht Spaß zu machen.
    »Okay, Jackson.«
    Jackson warf einen schüchternen Blick in die Runde seiner Freunde. »Äh, das sind zwanzig Meter, Sir.«
    »Stimmt. Wenn Sie drei Höhenlinien überqueren, wie weit sind Sie dann gegangen?«
    Parker, der sich von Jackson nicht ausstechen lassen wollte, hob die Hand. »Sechzig Meter.« Er lächelte selbstgefällig.
    Jackson kicherte. »Dir haben sie wohl das Hirn amputiert. Sechzig Meter. Mann, wie blöd kann man sein.«
    »Wie viel sind’s denn dann, Klugscheißer?«, blaffte Parker zurück.
    »Das kann man nicht sagen. Höhenlinien gehen rauf und runter. Kann sein, du bist sechzig höher oder sechzig tiefer, aber vorher bist du vielleicht bis nach Hanoi gelatscht.« Der Rest der Gruppe lachte, und Parker stimmte schließlich darin ein.
    Mellas beneidete Jackson um dessen natürliche Gabe, die Schroffheit seiner Worte durch die Art und Weise abzumildern, wie er sie äußerte. Wie konnte man sauer auf jemanden sein, der es weder nötig hatte anzugreifen noch sich irgendwelche Gedanken über seine Verteidigungsfähigkeit zu machen? Das wäre genau so, als wäre man sauer auf die Schweiz. Mellas behielt Jackson den ganzen Unterricht über im Auge und sah, dass die anderen nicht nur des Plattenspielers wegen seine Nähe suchten.
    Später am Nachmittag kroch Mellas in Bass’ Unterschlupf. Skosh, der einen Incredible Hulk -Pullover trug, las bei Kerzenlicht die Seventeen. Bass lag auf seiner Luftmatratze, die im allgemeinen Gummilady genannt wurde, und schrieb an einem weiteren langen Brief an Fredricksons Cousine.
    »Verdammt scharf, Skosh«, sagte Mellas.
    »Hey, Lieutenant, gucken Sie sich mal die an«, sagte Skosh leise und zeigte Mellas ein Mädchen im Teenageralter, das Winterkleidung vorführte und dessen Gesicht unter zurückgeworfenem seidenglattem Haar leuchtete. »Meinen Sie, wenn ich an die Zeitschrift schreibe, sagen die mir, wer das ist?«
    »Wollen Sie mich verarschen, Skosh? Jeder geile Kerl in den Vereinigten Staaten würde diesen Mädchen schreiben, wenn die Zeitschriften das täten.«
    Skosh hielt sich die Zeitschrift wieder vor die Nase und betrachtete weiter das Mädchen. »Vielleicht, wenn sie wüsste, dass wir hier in Vietnam sind und sowieso nichts passieren kann …«
    »Skosh, wo Sie sind, ist denen scheißegal«, sagte Mellas sanft. Er dachte an Anne.
    »Das glaub ich nicht. Bevor ich letztes Jahr von der Highschool abgegangen bin, war da so ein Mädchen, die hat genau wie die hier ausgesehen. Allerdings war sie im vierten und ich im dritten Jahr, deswegen hätte ich sie«, seine Stimme verklang, »sowieso nie kennengelernt …«
    »Durchhalten, Skosh«, sagte Mellas,

Weitere Kostenlose Bücher