Matthews Schatten: und andere paranormale erotische Stories (German Edition)
übersät. Sie starrte sie sehr lange an.
Da war auch seine Zahnbürste. Die Borsten waren trocken. Die Zahnpastatube war von der Mitte her ausgedrückt und bewahrte die Form seiner Hand. Daneben lag eine zweite Tube, die von unten nach oben ordentlich aufgerollt war. Jahre der Ehe hatten die beiden gelehrt, dass man in manchen Dingen Kompromisse schloss, aber andere am besten einfach akzeptierte.
Aber er war gestorben und hatte sie zurückgelassen. Wo war denn da der Kompromiss?
»Lügner«, sagte sie laut. Ihre Stimme hallte wider, die einzige Antwort, die sie je bekommen würde. Wut stieg in ihr auf, dicht gefolgt von schlechtem Gewissen. Wie konnte sie nur böse auf ihn sein? Dies war der Mann, der sein Äußerstes gegeben hatte, um jemand anderem das Leben zu retten. Er hatte die Titelseiten der überregionalen Tageszeitungen geziert. Völlig Fremde trauerten um ihn. Warum konnte sie ihn nicht genauso sehen wie alle anderen?
Aber er hatte nicht alle anderen verlassen, sondern sie .
Alison nahm die Zahnpastatube. Ihre Finger passten beinahe genau in die Stellen, an denen seine gedrückt hatten. Sie dachte an seine Hände. Er war geradezu besessen von seinen Nägeln. Er hielt sie sauber und kurz und glättete sie mit einem Polierblock, der auf der einen Seite grau und auf der anderen rosa war. Einen komischen Anblick gab er ab, wenn er sich mit seinen breiten Schultern im Sessel zurücklehnte und mit seinen starken Händen so einen zierlichen, femininen Gegenstand gebrauchte.
Sie ließ die Zahnpastatube in den Abfallkorb fallen. Er war ansonsten leer, und die Tube sah am Boden des Weidenkorbs einsam aus. Sie nahm das Rasiermesser, das ihr immer Angst einjagte, wenn sie zusah, wie er es benutzte, aber er schnitt sich natürlich nie. Nicht einmal. Kein einziger Blutstropfen.
Das Rasiermesser landete ebenfalls in dem Korb. Es hüpfte einmal hoch und lag dann ordentlich neben der Zahnpastatube. Ein Sonnenstrahl fiel darauf, und die scharfe Schneide glitzerte wie Sternenstaub.
Sie öffnete das Medizinschränkchen. Da stand das Aspirin. Sie hatte Aspirin nie vertragen, aber er nahm drei, manchmal vier Tabletten auf einmal. Oft stellte sie sich vor, wie sein Blut immer dünner wurde und immer heller durch seine Adern floss, bis nur noch die Umrisse von Zellen übrig waren, die in etwas schwammen, das so klar wie Wasser war.
Die Aspirintabletten klapperten, als sie die Flasche in den Abfall warf.
Die neonfarbene Zahnbürste, die so deplatziert wirkte. Die Seife, die er benutzte, dieses Sandelholzzeug, das ihre Haut austrocknete, seine aber seidenweich machte. Die Rasierseife, der Topf und der Pinsel, die altmodische Art, auf die er vieles tat, flogen sämtlich in den Abfallkorb, manches mit einem dumpfen Geräusch, anderes mit einem Knall.
Dass sie weinte, bemerkte sie erst, als ihre Tränen auf die seit fünf Jahren abgelaufene Flasche mit dem Valium fielen, das sein Arzt ihm nach dem Tod seiner Mutter verschrieben hatte. Matthew hatte geschworen, sie nicht zu brauchen, und so waren sie im Medizinschrank stehen geblieben, aber als sie die Flasche jetzt ansah, wurde ihr klar, dass die meisten Valiumtabletten fehlten.
Matthew war jetzt bei seiner Mutter, und Alison war diejenige, die das Valium brauchte.
Abrupt fuhr sie herum und schleuderte die Flasche in den Flur, so fest sie konnte. Sie sprang auf dem Parkettboden hoch, schlitterte davon, erreichte dann die Treppe und prallte exakt fünfmal auf den Stufen auf, bis sie unten auf dem Teppich aufkam. Im Haus herrschte dröhnendes Schweigen, obwohl man hören konnte, wie draußen der Wind auffrischte.
Alison knallte die Tür des Medizinschränkchens zu. Das Licht in der Spiegeltür flammte auf, und sie bebte in ihrem Rahmen, ohne zu zerbrechen. Sie schnappte sich das Eau de Cologne, das hinten am Waschbecken stand, sein Eau de Cologne, die teure Flasche, die sie vor weniger als einem Jahr bei Macy’s gekauft hatte. Sie zerschellte in dem Porzellanbecken, und der Duft stieg ihr in die Nase, erinnerte sie an ihn, überwältigte sie.
Jetzt flossen die Tränen reichlicher, so heftig, dass sie ihr über die Wangen liefen und sich auf ihrer blassen Haut heiß anfühlten. Da waren sie, ob es nun an dem unerträglich starken Eau de Cologne lag oder am Schmerz. Auf eine dumpfe, freudlose Art war sie froh darüber, dass sie endlich weinen konnte. Nicht hier und da eine Träne vergießen, sondern endlich richtig weinen , nach all der Zeit.
»Das hast du jetzt davon«,
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