Matto regiert
mit sechzig einen Sohn taufen lassen… Und als alles in Gang war, als die Anstalt wirklich in Ordnung war, als Leute kamen, um sie zu besichtigen, als die Patienten in den Nächten ruhig waren, die Abteilungen, die früher nach Irrenhaus ausgesehen hatten, nichts anderes waren als Werkstätten, in denen Papiersäcke geklebt, Matten geknüpft wurden – als man Kranke entlassen konnte, die man früher für unheilbar hielt – wer hat den Ruhm eingeheimst?… Ich habe einmal zufällig im Direktionsbüro einen Brief gelesen… Irgendein deutscher Professor schrieb dem Direktor, er habe sich gewundert über die moderne Führung der Anstalt, und er beglückwünsche den Direktor, daß er die neuzeitlichen Errungenschaften der Psychotherapie in seiner Anstalt eingeführt habe…«
Frau Laduner hatte sich warm geredet. Nun schwieg sie. Ihre Hände ruhten im Schoß, und ihr Leinenrock war fast bis zu den Knieen gerutscht. Studer fand, die Füße der Frau Laduner sähen gutmütig aus. Gutmütig und tatkräftig.
Er dachte: ›Das Bataillon hört auf mein Kommando!‹ und versteckte ein Lächeln unter seinem Schnurrbart…
»Und jetzt ist der Direktor tot!« sagte Frau Laduner. Sie atmete tief, und der Stoff ihrer Bluse spannte sich über ihrer Brust. Genau so tief hatte Dr. Laduner geatmet, in der Allee unter den Apfelbäumen, an deren Ästen die winzigen, grasgrünen Früchte hingen, die ebenso sauer waren wie der Klang der Stundenglocke im Türmchen der Anstalt Randlingen…
Eine Klinke wurde heruntergeschlagen, eine Tür aufgerissen…
»Frau Doktr, i glaube, dr Herr Doktr isch cho«, sagte Studer und stand auf.
In der Wohnung wurde eine Tür mit lautem Knall zugeschmettert. Sie wolle go luege, sagte Frau Laduner. Und dann verabschiedete sie sich vom Wachtmeister.
2.
Am Türpfosten der Wohnung im ersten Stock war ein Blechschild angebracht, wie man es in jenen Automaten ausstanzen konnte, die früher auf allen Bahnhöfen wuchsen…
›Dr. med. Ulrich Borstli‹ stand darauf.
Vorsichtig versuchte Studer, die Türe zu öffnen, sie war unverschlossen, er stand dann in einem Gang, der dem Gang in der Wohnung Dr. Laduners ähnelte. Ihm war ein wenig beklommen zumute. Aber dann dachte er, daß er schließlich beauftragt sei, den ›Konnex‹ (wie Dr. Laduner sagte) zwischen dem Verschwinden des Patienten Pieterlen und dem Tode des alten Direktors aufzudecken.
So rief er laut: »Hallo!« Und »Niemer umeweg?«… Stille. Es roch nach kaltem Stumpenrauch. Studer betrat das erste Zimmer.
Ein Flügel, ein Notenständer, ein Rauchtisch mit einem gefüllten Aschenbecher. Armsessel, ein offener Kamin, davor ein lederner, abgewetzter Klubsessel. Und über dem Klavier hing die vergrößerte Photographie einer Frau. Studer trat näher. Ein spitzes Gesicht, große Augen, die schweren Zöpfe waren kunstvoll über dem Hinterkopf aufgetürmt… Ein altes Bild… Die erste Frau?…
Der Flügel war verschlossen und mit Staub bedeckt. Zu beiden Seiten der Fenster hingen rote Plüschvorhänge, und durch die Scheiben leuchtete der bleiche Stamm einer Birke. An ihren feinen Ästen hingen zerknitterte Blätter…
Im Nebenzimmer stand ein Schreibtisch und auf dem Schreibtisch eine Flasche Kognak mit einem gebrauchten Glas daneben. Studer erinnerte sich, daß der Direktor die Gutachten der chronischen Alkoholiker machte – und er mußte leise lachen. Neben der Flasche lag ein Buch aufgeschlagen, Studer suchte das Titelblatt.
›Die Memoiren des Casanova.‹
Eine etwas sonderbare Lektüre!… Nun ja… Aber man mußte die Schubladen des Schreibtisches durchsuchen.
Sie waren unverschlossen. Nirgends Geld. Die zwölfhundert Franken, die der Direktor gestern von der Krankenkasse erhalten hatte, waren nicht vorhanden… Er hatte sie also bei sich getragen? Aber seine Taschen waren leer gewesen… Und der Sandsack?…
Das Schlafzimmer: Zwei Betten, das eine war nicht überzogen, das andere ungebraucht, kein Kopfeindruck auf dem Kissen. Die Decke war glattgestrichen…
Was war es nur, was die ganze Wohnung durchdrang? Es war nicht allein der kalte Stumpenrauch, obwohl er zu der besonderen Atmosphäre gehörte, es war auch nicht der leichte Kognakgeruch, und doch war auch er nicht wegzudenken. Es war nicht der aufgeschlagene Casanova und das unüberzogene leere Bett und nicht der Staub und nicht der geschlossene Flügel und die Plüschvorhänge und die Birke mit den zerknitterten Blättern…
Studer blieb mitten im Arbeitszimmer stehen, vor
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