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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Frau Laduners Stimme, er solle noch ein wenig warten. Der Arzt nahm ein zweites Blatt aus der Mappe, reichte es über den Tisch.
    »Schauen Sie zuerst das Datum an…« Studer tat es.
    »2. IX. 26. – Zweiter September Neunzehnhundertsechsundzwanzig .«
    Und er las weiter:
    »TW. Aufnahmestatus. Steht mit Vollbart und in Sträflingskleidung, die Mütze auf dem Rücken in der Hand haltend, steif da, kümmert sich aber um seine Effekten, interessiert sich speziell für seine Bleistifte, die wolle er nicht verlieren. Das Geld könne der Direktor von R. behalten, sagt er mit einem steifen Lächeln. Auf Befragen: Er habe sich über nichts zu beschweren, er habe allerdings einen Brief an seinen Vormund, Dr. L., geschrieben. Darüber möchte er sich nicht weiter auslassen. Gehemmt, steif, verweigert dem sich verabschiedenden Arzt von R. die Hand. Nach den Gründen gefragt: Nach seiner Auffassung sei das kein Arzt, das können auch Gefühlssachen sein.«
    Studer legte das Blatt auf den Tisch. Er wartete. Laduner sagte und bewegte sich nicht, sein Gesicht war im Schatten:
    »Es dreht sich alles um den 2. September. Merkwürdig. Am 2. September stirbt Pieterlens Kind, im nächsten Jahr wird Pieterlen am 2. September wegen Mordes zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Obwohl unser – das heißt mein Gutachten günstig war, nur weil er sich nach Ansicht des Bezirksanwaltes frech benommen hatte…
    Gut. Ich habe versucht, dem Herrn Bezirksanwalt, der die Untersuchung führte, die Schlüsse, zu denen ich gekommen war, daß nämlich Pieterlen an einer latenten Geisteskrankheit laboriere, begreiflich zu machen. Wir haben tüchtige Staatsanwälte in der Schweiz, wir haben andere, bei denen ich, müßte ich sie einmal begutachten, ganz unvoreingenommen von moralischer Debilität sprechen würde. Leute, bei denen es klar auf der Hand liegt, daß sie sich mit Verbrechen nur deshalb beschäftigen, damit sie nicht selbst Verbrecher werden. Wir nennen das in unserer Fachsprache: abreagieren… Vielleicht kennen Sie auch derartige Typen. Nun, der Bezirksanwalt in jener Industriestadt gehörte zu dieser Sorte. Dick, mit gekräuselten Haaren auf einem spitz zulaufenden Schädel, die Haare eingefettet – ich rieche noch jetzt den Geruch von Brillantine – Sammler von Kupferstichen und erotisch tätiger als beruflich. Bei jedem Angeklagten, es mochte sich um einen Einbrecher, eine Ladendiebin, einen Taschendieb oder eine Hochstaplerin handeln, erkundigte er sich zuerst nach den Liebeserlebnissen der Vorgeführten. Dicke Lippen, immer feucht.
    Wenn Sie sich über das Interesse gewundert hätten, das er den Leintuchgeheimnissen entgegenbrachte, so hätte er Ihnen geantwortet, er tue dies aus psychologischem Interesse. Von den Ergebnissen einer modernen Schule ist ja allerhand in die Laienwelt durchgesickert. Die Juristen besuchen jetzt auch psychiatrische Vorlesungen, was dabei herauskommt, kann man sich lebhaft vorstellen; zum Beispiel solch ein Bezirksanwalt. Er war schlecht auf den Pieterlen zu sprechen, das merkte ich gleich. Denn der Pieterlen hatte auf alle Alkovenfragen keine Antwort gegeben. Hingegen war der Herr Bezirksanwalt gut auf die Frau zu sprechen. Die hatte wahrscheinlich, verschüchtert wie sie war, weniger Widerstand geleistet und allerhand ausgepackt, was für den Herrn Bezirksanwalt interessanter war, als die Kaltschnauzigkeit des Mannes. Der Herr Bezirksanwalt sagte: ›Was wollen Sie, Herr Doktor, der Pieterlen ist ein frecher Kerl, den sollte man mürbe machen; wie er uns zuerst an der Nase herumgeführt hat! Natürlich sind Sie ihm auf den Leim gekrochen…‹ Was sollte ich sagen? Ich versuchte zu erklären, daß Pieterlen ein kranker Mensch sei, daß ich nach bestem Wissen und Gewissen nur sagen könne, daß eine Strafe, eine Zuchthausstrafe, in diesem Falle ungünstig wirken würde… Vergebene Liebesmüh.
    Der Herr Bezirksanwalt lachte mich aus. Er werde es dem Pieterlen schon einsalzen, meinte er, und erzählte mir in einem Atemzug von einer besonders hübschen Kellnerin im Bahnhofbüffet zweiter Klasse und einer Sammlung legerer Gravüren vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts, die er um ein Spottgeld gekauft habe. Und dann sprach er von einer illustrierten Ausgabe der Memoiren des Marquis de Sade… Es paßte zu ihm… Ich will nicht verallgemeinern, es gibt hochanständige Leute auch unter den öffentlichen Anklägern, aber es gibt manchmal auch solche Bezirksanwälte… Was sagte mein alter Chef immer? ›Wollen

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