Matto regiert
Wachtmeister einen Augenblick erstaunt anstarrte. Dann nahm er die Hand von der Muschel und sagte: »Ich komme später selbst. Augenblicklich habe ich eine wichtige Besprechung… Nein«, schrie er plötzlich, und seine Stimme überschlug sich. »Ich habe jetzt keine Zeit!« und schmiß das Hörrohr auf die Gabel.
Er setzte sich wieder, lehnte sich zuerst zurück, schloß einen Augenblick die Augen, beugte sich dann vor und nahm, einen nach dem andern, die Gegenstände in die Hand, die auf dem Tisch lagen, Studer gab mit leiser Stimme Erklärungen:
»Das«, sagte er, als Laduner den Sandsack aufhob, »habe ich auf der Plattform gefunden, von der die Leiter zum Feuerloch führt… Das«, damit meinte er das Stück Stoff, »lag versteckt unter der Matratze von Pieterlens Bett, und diese Brieftasche lag dort hinter den Büchern, ich hab' sie durch Zufall gefunden… Sie hat mir schwer Kopfzerbrechen gemacht, denn ich fand sie, gleich nachdem Gilgen bei euch gewesen war, Herr Doktor…«
»Und die Enveloppen?«
Studer lächelte.
»Man muß doch zeigen«, sagte er, »daß man kriminologisch geschult ist…« Er hob die eine Enveloppe in die Höhe: »Sand!« sagte er. Dann die andere: »Staub aus den Haaren der Leiche…« Er schwieg. »Übrigens ist der Direktor nicht mit einem Sandsack niedergeschlagen worden. Er ist ganz einfach… Aber ihr könnt das ja selbst lesen, Herr Doktor…« Damit nahm Studer das handgeschriebene Blatt auf, faltete es auseinander, zögerte einen Augenblick… »Ich will's euch lieber selbst vorlesen…«, sagte er, räusperte sich, sagte:
»Geständnis«,
machte eine Pause und las dann mit eintöniger Stimme:
»Ich, Endesunterzeichneter, Herbert Caplaun, erkläre hiermit, daß ich am Tode des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen, Herrn Dr. Ulrich Borstli, schuldig bin. Ich habe am 1. September, 20 Uhr, von der Portierloge aus Herrn Dr. Borstli, der sich auf einem Patientenfest befand, angeläutet und ihn unter dem Vorwand, ich hätte ihm Wichtiges mitzuteilen, auf halb zwei Uhr in eine Ecke des Hofes gelockt. Ich hatte ihn zu gleicher Zeit gebeten, die Dokumente, die sich auf die Sterbefälle im U 1 der Anstalt Randlingen bezogen, mitzubringen. jedoch war dies nur ein Vorwand. Denn ich hatte erfahren, daß Direktor Ulrich Borstli sich mit meinem Vater in Verbindung gesetzt hatte, um meine zeitweilige Internierung in einer Strafanstalt zu erwirken. Ich hatte mir einen Sandsack verschafft und hatte beschlossen, den Direktor niederzuschlagen und seinen Körper in der Heizung zu verstecken. Jedoch kam es anders. Wir gerieten in Streit, und der Direktor wollte mich schlagen. Darauf rief ich um Hilfe. Um einen Skandal zu vermeiden, befahl mir der Direktor, mit ihm in die Heizung zu kommen. Ich folgte ihm. Er zündete das Licht an, öffnete seine Mappe und zeigte mir die Kopie eines Briefes an meinen Vater. Als ich diese gelesen hatte, ergriff mich die Wut und ich hob den Sandsack. Der Direktor wich zurück, trat ins Leere und fiel rücklings hinab. Ich verschloß die Heizung, vergaß aber das Licht zu löschen. In den folgenden Tagen habe ich mich in der Wohnung des Pflegers Gilgen versteckt gehalten.
Randlingen, den 5. September 19.. Herbert Caplaun.
Die Echtheit der Unterschrift bestätigen:
Jakob Studer, Wachtmeister an der Kantonspolizei
Max Jutzeler, Pfleger.«
Studer schwieg. Er wartete. Das Schweigen dauerte lange.
»Ihr werdet bemerkt haben, Herr Doktor, daß euer Name in dem Schriftstück nicht vorkommt…« sagte Studer endlich. »Ihr habt mich angefordert, um behördlich gedeckt zu sein. Ich habe versucht, meine Mission zu erfüllen…«
»Und Caplaun ist tot?« fragte Dr. Laduner. Studer blickte nicht auf, er hatte Angst vor dem Lächeln, das sicher um des Arztes Mund lag.
»Es war ein Unglücksfall…« sagte Studer verlegen.
»Sie sprachen doch von einem Mord?«
»Eigentlich beides… Aber es ist eine lange Geschichte. Und ich erzähle sie nicht gerne, weil ich eigentlich selber am Tode des Herbert Caplaun schuldig bin…«
»Wenn ich Sie recht verstehe, Studer, so haben Sie also durch Ihre Ungeschicklichkeit zwei Menschen getötet: den Pfleger Gilgen und den Herbert Caplaun…«
Studer schwieg. Er preßte die Lippen zusammen, sein Gesicht wurde langsam rot.
Die höhnische Stimme fuhr fort:
»Sie haben sich mit mir identifizieren wollen, Studer…«
»Identifizieren?«
Was war das wieder für ein Wort?
»Ja, Sie wollten an meine Stelle treten, den
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