Mattuschkes Versuchung
Lüftungsschacht von einem lamellenartigen Gitter verdeckt. Sie bewegte den kleinen Schieber mit leisem Quietschen, es hörte sich an, wie die Laute, die Mirka von sich gab. Ein schrecklicher Verdacht kam in ihr hoch. Je nach Einstellung hatte man über einen eingebauten Spiegel Einblick in ihr Bad, Dusche, Waschbecken und Spiegel. Zittrig brachte sie alles wieder in die Ausgangsposition und ließ Mirka frei. Wie sollte sie es fertigbringen, ihm zu begegnen, ohne ihm die Augen auszukratzen.
In der Nacht quälte sie der Gedanke, dass er die Aufnahmen nicht nur für den eigenen Gebrauch genutzt, sondern über Internet anderen zur Verfügung gestellt haben könnte. Vielleicht hatten sich bereits Leute aus ihrem Umfeld daran geweidet, sie erkannt und die Entdeckung weitergegeben. Dann hätte sie überall die Ehre verloren. Es war höchste Zeit, mehr über Mattuschke und seine Gefährlichkeit zu erfahren.
Ihr kam die Idee, sich mit Kornfeld in Verbindung zu setzen, seine Nummer hatte sie im Büro herausgefunden. Zunächst war er nicht zu einem Gespräch bereit. »Die Akte Mattuschke ist für mich endgültig geschlossen«, meinte er kurz angebunden. Erst als sie ihre Situation und Gefährdung andeutete, vereinbarte er einen Termin. Den Tag nahm sie frei, für die Strecke von einhundertachtzig Kilometern bis zu Kornfelds Domizil würde sie knapp zwei Stunden benötigen und könnte vor dem Abend wieder zurück sein. Der Tag passte gut, weil Paul eine längere Ausschusssitzung hatte. Als sie losfuhr, merkte sie, dass ihr wieder ein Wagen folgte, ein anderer, als der bisherige, vielleicht bildete sie es sich nur ein, trotzdem suchte sie nach einer Möglichkeit, ihn abzuschütteln.
Sie bot sich an einer Ampel, die bereits markantes Gelb zeigte, sie blinkte nach rechts und bog ab, gerade als sie sich rot färbte. Da sich zwischen sie und den vermuteten Verfolger noch ein Wagen geschoben hatte, musste er anhalten und konnte ihr nicht folgen. Sie fuhr hinein in die Straße, unschlüssig wohin. Als sie das Schild eines Eier- und Käsegroßhandels sah, steuerte sie in dessen Einfahrt, drehte und blieb versteckt mit Blick auf die Straße stehen. Der Verfolger fuhr in zügigem Tempo vorbei. Ihr Herz klopfte wie wild, die Szene hätte in einen Kriminalfilm gepasst. »Kommissarin Louise ermittelt«, sagte sie ironisch, verließ die Einfahrt und fuhr dasselbe Stück wieder zurück auf die alte Strecke, der Wagen tauchte nicht mehr hinter ihr auf.
Kornfeld musste weit über siebzig Jahre sein, aber man sah ihm sein Alter nicht an, ein großer Mann, mit vollem, schneeweißem Haar, schmalem Oberlippenbart und aristokratischer Aura. Er trug einen Anzug mit feinen Nadelstreifen, eine farblich passende Krawatte mit perlenbestückter Nadel. Galant begrüßte er sie mit Handkuss und führte sie in einen Raum, der früher vielleicht das Raucherzimmer gewesen war. Tabakgeruch konnte sie nicht mehr wahrnehmen. Die Einrichtung strahlte dezent Wohlstand aus.
Bilder von Kandinsky hingen an den Wänden, wenn sie es richtig deutete. »Was darf ich Ihnen anbieten Frau Leblanc?«, sie war erstaunt, dass er ihren Namen nach dem kurzen Telefongespräch behalten hatte. Während sie Wasser nahm, schenkte er Cognac in ein dickbauchiges Glas ein, das er lange unter der Nase schwenkte.
»Eigentlich wollte ich Sie nicht empfangen, das Thema Heinz Mattuschke ist für mich erledigt, aber dann hatte ich das Gefühl, ich könnte Ihnen helfen. Der alte Wohltäter in mir«, lächelte er.
Es war noch seine Masche des Gutmenschen. Sie informierte ihn offen über die wesentlichen Gesichtspunkte des eigenwilligen Mietverhältnisses, ließ auch die Entdeckung des beidseitigen Spiegels, Veras Tod und die Anschläge auf Paul nicht aus. Als sie geendet hatte, Kornfeld unterbrach sie nur einmal wegen einer Rückfrage, wirkte er betroffen, aber nicht überrascht und schaute sie lange schweigend an.
»Sie sind eine sehr natürliche, charmante, ehrliche Frau. Nicht sehr häufig in unserer Zeit, kein Wunder, dass sie ihm gefallen. Ich glaube, dass er zu allem fähig ist, ich werde Ihnen etwas zeigen.«
Er stand auf, verließ das Zimmer und kam kurze Zeit später mit einer dicken Mappe zurück, die er vor ihr aufschlug. Sie sah Bilder aus Kornfelds Privatleben, offenbar von Einladungen oder Festen, die in seinem Haus stattfanden. Mattuschke war auf einigen zu sehen, zuletzt häufiger mit einer Frau, die sie bereits auf dem Foto seines Albums undeutlich entdeckt hatte, der,
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