Mattuschkes Versuchung
eine frohe, befreite Stimmung versetzt, in der sie sich eine gemeinsame Nacht vorstellen konnte. Seit der Trennung von Rick gab es keinen Kontakt mehr zu einem Mann. Ein wenig hatte sie sich wohl doch in Heinz verliebt, oder war es große Dankbarkeit, die sie so empfinden ließ? Eine Weile lag sie noch wach, achtete auf Geräusche, dann schlief sie ein und erwachte erst am späteren Morgen. Er war schon angezogen und hatte Telefonate geführt, als sie hastig zum Frühstücksraum lief, wo er auf sie wartete.
»Entschuldige, ich habe geschlafen wie ein Murmeltier und keinen Wecker gestellt.«
»Daran merkt man, dass wirklich Urlaub ist, wenn es gelingt, die innere Uhr auszuschalten, ich beneide dich darum.«
Von ihrem Platz am Tisch konnte sie Häuser, die sich eng an die steilen Hänge schmiegen, sehen. Sie lagen bereits im gleißenden Sonnenlicht und trugen auf den Dächern meterhohe Schneehauben, die nur zögernd ihr Schmelzwasser hergaben. Sie fuhren zurück, vorbei an Martigny, durch liebreizende Landschaften zum Genfer See, wandelten an der Seepromenade von Montreux, dem schön gelegenen Casino, der Mike Davis Hall und mondänen Hotelbauten entlang. Es waren die letzten Tage des traditionellen Jazzfestivals, überall kündigten Plakate das Doppelkonzert von Prince an. Heinz erzählte begeistert von der vierzigjährigen Tradition dieser Einrichtung, die der geniale Claude Nobs begründet hatte und bis heute leitet. Ihr Quartier schlugen sie in Vevey auf, einem kleinen Städtchen mit romantischer Atmosphäre, heimeligen Gässchen und schönen alten Häusern, direkt am See gelegen.
Ein altes Kinderkarussell am Ufer drehte quietschend seine Runden, übermütig setzte sich Louise auf ein Sesselchen und ließ sich im Kreis schweben, schneebedeckte Berge im fernen Blick. Mattuschke schaute von einer der Sitzbänke amüsiert zu ihr hinüber. Er sah wehende Haare, leuchtende Augen, hörte fröhliches Lachen, das ihm tief ins Herz drang. Wie sollte er sich jemals ein Leben ohne sie vorstellen? Allein der Gedanke daran versetzte sein Inneres in apokalyptische Finsternis und ließ jeden Freudenfunken erstarren.
Nach längerer Zeit war Louise wieder in der Försterklause. Sie reichte den Gästen die Speisekarten und räumte die gespülten Gläser ein.
»Du siehst richtig gut aus, sogar braun, warst du in der Sonne?«, fragte Gila, die ihr dabei half.
Sie erzählte ihr in knappen Worten von dem überraschenden Urlaub und den erholsamen Tagen.
»Das kannst du mir doch nicht erzählen, dass ihr nur gewandert seid und Händchen gehalten habt. Einem Mann, der offenkundig verrückt nach dir ist, einen Kurzurlaub spendiert, mit einer blendend aussehenden jungen Frau, soll nichts anderes eingefallen sein? Ich würde ja sagen, der ist schwul, aber dafür habe ich einen Riecher, und wie er dich anschaut. Ich weiß es nicht, der Typ ist alles andere als schüchtern, da stimmt doch was nicht.«
»Nun mach dir darüber mal keine Gedanken. So wie es war, ist es gut. Andernfalls hätte sich das Ganze nur verkompliziert.«
Gila schüttelte den Kopf. »Da denkt man, langsam alles über die Männer zu wissen und schon kommt wieder eine Merkwürdigkeit hinzu.«
Obwohl es ein anstrengender Abend war, spürte Louise, wie sehr ihr die abwechslungsreiche Hektik, die Gespräche mit den Gästen und der Flachs mit Gila gefehlt hatten. Langsam bekam sie Abstand zu dem überraschenden Tod ihres Vaters, konnte beginnen ihn zu verarbeiten, die Fahrt in die Schweiz war ein wichtiger Schlüssel dazu. Sie war Heinz sehr dankbar, es wurde Zeit, ihn noch einmal einzuladen, gemeinsam mit Vera, Gila und ihrer neuen Liebe. Gila war sofort einverstanden. Die übernächste Woche würde gut passen.
Der junge Mattuschke sprang sofort aus dem Bett und lief zu der Stelle, an der Sina überfallen wurde. Es war noch sehr früh, aber im ersten Licht, das gerade über den schlaftrunkenen Wagen und Zelten aufging, würde ihm vielleicht etwas auffallen, was er gestern im Schein der Lampen nicht gesehen hatte und das seinen Verdacht bestätigen könnte. Sorgfältig untersuchte er Boden, Sträucher und Fußabdrücke. Sina hatte sich gewehrt, an der Kleidung gerissen, irgendein verräterisches Teilchen müsste doch zu finden sein. Mehrmals ging er den Weg auf und ab. Er wollte schon aufgeben, als er unter dichten Zweigen einen schwarzen Knopf entdeckte. Schnell steckte er ihn in die Tasche, als er Harry kommen hörte.
»Du bist schon da, Heinz? Ich wollte auch
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