Mattuschkes Versuchung
ohne Zwischenfall beendet war, stutzte und griff sich an die Stirn. Was sollte denn jetzt noch kommen? Hatte man denn kein Erbarmen mit seinen Nerven? Ein Malheur, das ihm sonst nie widerfuhr, passierte, seine Punch, eine echte Havanna, erlosch vor Aufregung zwischen seinen Lippen und hinterließ einen metallisch strengen Geschmack.
Heinz schritt langsam auf den Löwen zu, blickte ihm direkt in die Augen und sprach beruhigend auf ihn ein, schnalzte leicht mit der Zunge und streichelte ihn am Kopf. Dann wiederholte er Ricardos Kommandos, versuchte seine Stimme, seinen Tonfall zu imitieren. Der Löwe schaute ihn mit zur Seite geneigtem Kopf an, prüfend wie er glaubte, er hielt seinem Blick stand. Im Publikum herrschte Totenstille, man spürte, dass sich etwas Besonderes ereignen würde. Jetzt bewegte er sich näher auf den Löwen zu, der in diesem Moment sein Maul weit aufriss. Augenblicklich wich die Nervosität von ihm. Er wurde ruhig, eiskalt, seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
»So ist es, wenn man heroisch zum Schafott schreitet«, sagte er leise. Dann steckte er seinen Kopf mit einer schnellen Drehung in das Löwenmaul, hob seitlich beide Arme in die Höhe und zog ihn wieder heraus. Schwindel umgab ihn, tosender Beifall des Publikums und der Zirkusleute, der kaum zu ihm drang. Vor lauter Spannung hatte die Kapelle aufgehört zu spielen und beeilte sich nun, den Trommelwirbel nachzuholen. Zukolowski sank auf einen Stuhl, die kalte Zigarre entglitt seinem Mund. Heinz tätschelte Sambesis Fell: »Braaaaav Sambesi, gut gemacht!« Er steckte ihm ein Titbit, ein Leckerli, ins Maul. Das Gitter des Tunnels wurde hochgezogen und der letzte Löwe verließ unter anhaltendem Applaus die Manege. Mattuschke verbeugte sich tief nach allen Seiten, sein Gesicht zeigte vornehme Blässe.
Die Pferdedressur konnte durch Sinas Ausfall nur teilweise stattfinden und war ohne Glanz, sein Vater, von der Aufregung angesteckt, warf zwei Messer neben die Wand, was bei einigen Zuschauern Hohngelächter und qualvolles Stöhnen bei ,Chapiteau auslöste, der heute wirklich nicht zu beneiden war.
Dann kam die Feuernummer mit Boris, der lebenden Fackel. Sein krauses Schwarzhaar wucherte wie wildes Gestrüpp aus seinem Kopf. Wieder schleuderte er sein Wams mit großer Geste in die Arena und ließ die beeindruckenden Muskeln spielen. Mattuschke blieb im Zelt, wusch sich nicht einmal den Geifer des Löwen vom Kopf, sondern starrte gebannt auf die Darbietung. Zunächst hantierte er mit den brennenden Fackeln, warf sie überschlagend in die Luft, fing sie hinter seinem Rücken auf und löschte sie in seinem Rachen, entfachte neue, nahm einen Schluck des Brandmittels, um seine Feuerzungen hinauszuspeien, als ein fürchterlicher Schrei durch das Zelt hallte. Der Riese wälzte sich auf dem Boden, hielt sich Kopf und Hals fest und stürzte aus dem Zelt, indem er unmenschliche Laute, wie die eines verendenden Tiers ausstieß. Heinz saß unbeweglich da, sein Gesicht drückte keine Überraschung, keine Regung aus. Ein aufmerksamer Beobachter hätte nur ein knappes Nicken bemerkt.
Als Mattuschke am Morgen, nach der Tat an Sina, aufgewacht war, hatte er sich wieder an ein Hüsteln erinnert, dem er keine Beachtung schenkte. Es hörte sich nach Boris' signifikantem Räuspern an. Letzte Sicherheit gewann er, als er in dessen Wagen den abgerissenen Knopf entdeckte und bittere Rache schwor. Die ätzende Lösung, die er damals von Schnippels Beständen abzweigte, hatte er in die Brandmittelflasche gefüllt, die Boris für seine Feuerstöße benutzte und ihm nun Mund und Rachen verätzt.
Im Zirkus herrschte große Aufregung, Boris brachte man ins Krankenhaus, Chapiteau tobte fürchterlich, nachdem man die ätzende Lösung in der Flasche und den Grund für den tragischen Abbruch der Darbietung entdeckt hatte. Nach vier Wochen kehrte Boris zurück, seine Nummer konnte er nicht mehr vorführen, er blickte noch feindseliger, konnte sich nur noch mühsam artikulieren. Einen Tag blieb er im Zirkus, um seine Sachen zu räumen, dann verschwand er, ohne sich von jemandem zu verabschieden.
In derselben Nacht brach Feuer an verschiedenen Stellen aus, das eindeutig gelegt worden war. Zum Glück wurde es schnell bemerkt, aber bei mehreren Brandherden gelang es nicht, alles unter Kontrolle zu bringen. Ein Vorratszelt brannte vollständig aus, Heuballen verglühten, ein Zebra wurde Opfer der Flammen, zwei Arbeiter zogen sich Verletzungen zu. Da eins der Pferde fohlte
Weitere Kostenlose Bücher