Mattuschkes Versuchung
Dennoch reizte es ihn, ein eigenes Großprojekt auf die Beine zu stellen, für das er alleine die Grundlagen schuf. Er hatte eine Sache im Auge, mit der er Kornfeld überraschen und sich höchsten Respekt erwerben könnte. Zielstrebig brachte er sie auf den Weg, ohne ihn einzuweihen, aber es ergaben sich Schwierigkeiten, die allein mit seiner Überzeugungskunst nicht zu überwinden waren. Er musste in die Trickkiste greifen, der er sich schon bei der Zirkuswerbung bedient hatte. Falsche Angaben, geschönte Fakten. Er war in einer ehrgeizigen Weise von seinem Vorhaben beseelt, dass er selbst vor gefälschten Unterschriften, die er zögernden Partnern zur endgültigen Überwindung ihres Widerstandes vorlegte, nicht zurückschreckte. Er verrannte, ja verbiss sich in sein Prestigeprojekt, mit dem er Kornfeld endlich beweisen könnte, auf gleicher Erfolgsstufe zu stehen.
Es lief gründlich schief. Das Ganze platzte zu einem Zeitpunkt, als er sich schon am Ziel fühlte und endete mit einer Verurteilung wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Aufgrund der geschickten mehrstöckigen Firmenstruktur blieb Kornfeld nicht nur unbehelligt, er konnte sich im letzten Moment sogar als Sanierer und Retter des Projekts empfehlen. Mattuschke war der Dumme.
»Du bist ein intelligenter, cleverer Bursche, Heinz und mein bester Mann, aber nur so lange du mit kühlem Verstand an die Dinge herangehst, sobald du dich von Emotionen oder falschem Ehrgeiz leiten lässt, verlierst du den Blick für den richtigen Weg. Es wird eine wertvolle Lehre für dich sein.«
Er hätte schreien mögen, war zutiefst deprimiert und wütend auf sich selbst. Zum ersten Mal hatte er, dessen Stärke es war, kühl zu analysieren, andere auszurechnen und beherrscht abzuwarten, eine schwere Niederlage erlitten, weil er ungeduldig von seinem Weg abwich. Jetzt war er auch äußerlich von einem Stigma gezeichnet. Er schämte sich vor Martine, die Geduld brauchte, um ihn über den Misserfolg hinwegzutrösten, der sich letztlich vorteilhaft für das Imperium, nur nicht für ihn, erwies. Er suchte ihre Nähe. Die warme Herzlichkeit empfand er als großes Glück, das hatte er lange vermisst. Am liebsten würde er mit ihr zusammenleben und spürte doch seine Bindungsängste.
Martine war lange der Meinung, für ein Singledasein prädestiniert zu sein, warum sollte man sich an einen Mann binden, wenn man beruflich erfolgreich war, die Unabhängigkeit liebte, keine Familie gründen wollte und an Sexuellem wenig Freude hatte. Nach einer Unterleibsoperation schlugen Penetrationsversuche jedes Mal schmerzhaft fehl. So fiel es leicht, den Gedanken an eine Lebenspartnerschaft aufzugeben und im Kreis von Freunden und Bekannten, die ihre herzliche Art schätzten, einen Familienersatz zu finden. Aber bei diesem Mann war alles anders. Schon, als sie ihn zum ersten Mal sah, bei dieser privaten Einladung, die ihr arrangiert vorkam, hatte sie einen Klang in sich gespürt, eine spontane Sympathie, die sie zu ihm hingezogen fühlen ließ. Er war drahtig, gut aussehend, in ihrem Alter oder unwesentlich jünger, mit geschmeidigen Bewegungen einer Katze, bis in ihr Inneres blickenden Augen, frechem Schnäuzer und geballter, furchtloser Energie. Als er ihr sein umwerfendes Strahlen zusandte und sie die ruhige, gewinnende Stimme hörte, die ihn älter und reifer erscheinen ließ, spürte sie, dass dieser Mann in der Lage sein könnte, ihre Vorsätze schmelzen zu lassen. In den Folgetagen ertappte sie sich immer wieder, sein Bild in Erinnerung zu rufen und gab nicht eher Ruhe, bis es ihr gelang, das Konterfei wie bei einem Puzzle zusammen zu setzen. Ohne Notwendigkeit fuhr sie einige Tage später mit fadenscheinigem Grund zur Zentrale, in der Hoffnung, ihm dort zu begegnen. Wieder erlebte sie den innerlichen Schmelzprozess, der, einmal in Gang gesetzt, nicht enden wollte. Sie hatte sich verliebt, konnte die Tage kaum abwarten, bis sie sich wieder sehen durften, sie sein Strahlen aufnehmen und die vertraute Stimme hören konnte. Es gab Momente, da war ihre Sehnsucht so intensiv, dass sie zu zerspringen glaubte.
Aber wie wäre ein Leben mit diesem vitalen Mann möglich, wenn sie ihm keine körperliche Erfüllung gewähren könnte, wenn ihm dieser Teil der Partnerschaft durch ihr Handicap versagt bliebe? Welcher Mann würde sich darauf einlassen? Den körperlichen Schmerz könnte sie noch überwinden, aber die erfolglosen Versuche der Vergangenheit hatten ihr gezeigt, dass es bei allem Wollen nicht
Weitere Kostenlose Bücher