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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ersfeld
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möglich war, so sehr verkrampfte sich ihr Leib, als wollte er fremde Eindringlinge unnachgiebig am Weiterkommen hindern. So selbstbewusst sie in allen Lebenslagen war, wenn ihr jetzt diese Gedanken durch den Kopf gingen, erfasste sie Schwermut, Verzweiflung, die sie zum Weinen brachte.
    Auch Mattuschke musste sich eingestehen, Gefühle, bisher nicht gekannter Art, für diese Frau zu empfinden. Es war nicht das Verehren, die leidenschaftliche Glut, die er bei Sina erlebte, sondern tiefes Glück, sie in seiner Nähe zu wissen, etwas auf wunderbare Weise in sich auszufüllen, wo lange ein Vakuum war, das er mit Betriebsamkeit und Arbeit überdeckt hatte. Er ertappte sich dabei, sein Tun zu unterbrechen, die Augen zu schließen und sich Szenen ihrer letzten Begegnungen vorzustellen, ihre Stimme zu hören, das Gesicht mit der Ausstrahlung einer erfolgreichen Frau zu sehen. Sie war nicht so schön wie die engelsgleiche Sina, auch ihr Gang hatte nicht das elegant Schwebende, aber ihre gesamte Erscheinung beeindruckte ihn, die Wärme und Freundlichkeit, die sie ausstrahlte, ihre Klugheit und Fähigkeit, die Worte zu finden, die ihm wohltaten oder die er brauchte, um deprimierende Gedanken zu vertreiben. Er konnte sich über alles mit ihr unterhalten, und auch in geschäftlichen Dingen lagen sie auf einer Ebene, von der groben Fehleinschätzung seines Prestigeprojekts abgesehen. Mit ihr war ein gemeinsames Leben vorstellbar, der Gedanke, sie nackt zu beobachten, reizte ihn, aber es war nicht realisierbar. Wie sollte er ihr seine Schwäche offenbaren, einer Frau, die sicher Kinder wünschte und ein Anrecht darauf hatte. Wieder verfluchte er seine unheilvolle Veranlagung, die ihn fast in die Fänge der Polizei getrieben hatte.
    Dennoch zwang ihn die verzehrende Sucht wieder zum Haus, wo er Charlotte noch einmal hüllenlos beobachteten konnte, dann waren Vorhänge angebracht, die es ihm nicht mehr ermöglichten. In das Haus vorzudringen, wagte er nach dem fatalen Gewittererlebnis nicht mehr. Kurz danach begegnete er ihr zufällig in einem Café, der Anblick war so überraschend, dass er sein Getränk verschüttete und die Hand verbrannte, aber sie erkannte ihn nicht, was ihn beruhigte. Sie saß ein paar Tische von ihm entfernt, aber so, dass er sie beobachten konnte. Unverwandt und gleichgültig schaute sie zu ihm herüber. Es war ein eigenartiges Gefühl von Macht, einem Menschen gegenüberzusitzen, für den man ein Fremder ist, während man selbst nicht nur den Namen, jeden Winkel seiner Wohnung, sondern auch die Art der Bewegung, seinen Körper und die Intimität seiner Atemzüge kennt. Die Vorstellung, sie damit zu konfrontieren, erregte ihn plötzlich stark. Ich kenne sie, Name, Gewohnheiten, wie sie sich bewegen, nach dem Duschen abtrocknen, ihren nackten Körper, wie sie schlafen und dass sie auf der linken Gesäßhälfte ein winzig ovales Muttermal besitzen. Ein überlegenes Lächeln spielte um seinen Mund, er musste der Versuchung regelrecht widerstehen, nicht aufzuspringen und ihr das, was er gerade dachte, ins Gesicht zu schreien. Sie hatte sich seinen Augen verweigert, das war böse, das tat weh und schmerzte brennend.
    Am nächsten Tag ließ er ihre Wohnung aufbrechen, alle Vorhänge herunterreißen und im Garten verbrennen. Ansonsten gab er Anweisung, nichts anzurühren.
    Martine, zu der er sich immer stärker hingezogen fühlte, wollte er nicht aufgeben. Es kostete ihn große Überwindung, einen Psychiater aufzusuchen, um sich von der inneren Berührungssperre heilen zu lassen. Dr. Hohl vermutete den Grund darin, dass er als Baby nie Brust- und Hautkontakt seiner Mutter genossen hatte und sich aus dem emotionalen Defizit eine Sperre gebildet habe. Sie führe zu großen Bindungsängsten, das Zerrissene seines Gemüts rühre vom Fehlen dieser Wärme und von unerfüllter Sehnsucht nach Mutterliebe her. Zusätzlich besäße er strenge ästhetische Vorstellungsmuster, gewachsen auf dem Boden einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Was fällt dem Quacksalber ein? Er gab zwar eine mögliche Erklärung, seine fragwürdige Therapie vermochte aber am Zustand nichts zu ändern. Über seine voyeuristische Sucht sprach er nicht mit ihm, er hatte das Vertrauen verloren.
    Als Dr. Hohl nach herrlichem Pfingstwochenende die Praxis betrat, wankte er entsetzt hinaus. Ein Haufen Fischabfälle hatte über das heiße verlängerte Wochenende bei geschlossenen Fenstern einen bestialischen Duft kreiert, der jede Fischfabrik in den

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