Mattuschkes Versuchung
nachdem er die Stadt verlassen hatte. Wenige Tage später fragte ein Mann mit mürrischem Blick und ungewöhnlich langem Ledermantel nach Chéries Liebesdiensten. Da sie nicht frei war, bot man ihm ebenbürtigen Ersatz aus dem reichen Haremsensemble an, aber er bestand auf Cherie und kam später wieder. Den Lohn legte er direkt auf den Tisch.
»Zieh dich aus«, befahl er barsch. Schon wieder ein Eigenartiger, der auf Leder und Gewalt steht, dachte sie. Der Unbekannte warf sich auf sie, zückte ein Messer und schnitt mit einer blitzschnellen Bewegung zwei Mal diagonal durch ihr Gesicht, dann sprang er durch das offene Fenster auf den Hof, ehe die Verletzte den Schmerz spürte und um Hilfe rufen konnte. Die Suche des stummen Türstehers, Boris Plonsky, blieb ohne Erfolg.
Mattuschke litt darunter, keine normale sexuelle Beziehung führen zu können, auch alle späteren Versuche waren auf dieselbe Weise gescheitert; der Wunsch nach neuen heimlichen Beobachtungen wurde unerträglich stark. Verzicht hätte Befreiung bedeuten können, aber dazu war er zu schwach. Nur in solchen Situationen fühlte er sich vollwertig, den visuellen weiblichen Opfern überlegen, mit unbegrenzter Macht. Ihnen, den Stummen seiner Lust, konnte er eigene Phantasie-Vorstellungen überziehen, wie ein zartes Seidenkleid, sie die unausgesprochenen Worte sagen lassen, die er hören wollte. Er wurde zu einem voyeurististischen Flaneur, schlich abends an Gärten und erleuchteten Fenstern vorbei, in der verzweifelten Hoffnung auf Beute. Dabei entdeckte er ein Holzhaus, versteckt am Waldrand errichtet, dessen Vorhänge nie zugezogen waren. Immer wieder pirschte er sich an die kleinen Fenster heran, um Einblicke zu erhaschen. Zur Zeit schien es nur von einer Frau bewohnt, einer figürlich ansprechenden, die sich ungehemmt darin bewegte, in der Annahme, vor Blicken geschützt zu sein. Er fand heraus, dass sie meist zur selben Zeit das Bad aufsuchte, sich entkleidete und anschließend durchs Haus lief, bevor sie ihr Schlafzimmer im oberen Stockwerk aufsuchte. Er spürte, wie ihn die Versuchung erfasste, weiter trieb; er wollte mehr, war von ungesunder, unbarmherziger Unruhe befallen.
Wieder einmal hatte er sich an das Haus geschlichen und beobachtet, wie sie nur in ein Handtuch gehüllt, aus dem Bad kam, mit den Händen durch das feuchte Haar fuhr und, nackt auf ihren Sessel sitzend, telefonierte, bevor sie hinaufging, wo nach einer Weile die Lichter erloschen. Es drängte ihn, ins Haus zu gelangen, die Eingangstür war verschlossen, von der Terrasse gelang es nicht, aber die Kellertür war offen, sie wäre ohnehin ein leichtes Spiel für ihn gewesen. Er zog die Schuhe aus, schlich die Treppe hinauf und befand sich im Wohnzimmer. Durch die häufigen Beobachtungen hatte er eine passable Orientierung, außerdem warf das Mondlicht einen Schein hinein, der ihn Umrisse erkennen ließ. Er öffnete die Tür zum Bad, konnte noch das Parfüm riechen, das sie benutzte und sog es in sich hinein. Die Aufregung ließ ihn auf angenehme Weise erzittern. Nie konnte er dieses Gefühl der Spannung bei den arrangierten Szenen erleben. Es war großartig, das Rauschen des Blutes wieder in den Ohren zu haben. Eine Steintreppe führte zu den oberen Zimmern, eigenartig in einem Holzhaus, aber sie würde nicht knarren. Ein Flur mit drei Türen.
Er hielt den Atem an, lauschte. Leise, regelmäßige Atemzüge waren zu hören. Die vorsichtig hinunter gedrückte Klinke gab ein leises Schnarren von sich. Er war in ihr Schlafzimmer eingedrungen.
Das Fenster, ohne Vorhänge und Jalousien, war gekippt, ein leichter Luftzug wehte zu ihm, schnell lehnte er die Tür an. Das einfallende Licht zeigte ihm die Umrisse ihres Körpers, warf einen Schein auf ihr Gesicht, das viel schöner war, als er es aus der Entfernung einschätzen konnte. Friedlich, wie die glatte Oberfläche eines Sees, die kein Windhauch kräuselt, befreit von Anspannung, Traurigkeit, verletzender Gleichgültigkeit oder hochmütigem Blick. Sie lag nur bis zum Oberkörper bedeckt im Bett, die Brüste, die sich im Rhythmus der Atmung hoben, frei, den Kopf leicht zur Seite abgewinkelt, mit leicht geöffneten Lippen, als wollte sie gerade etwas fragen. Er trat näher an ihr Bett heran und genoss die Minuten unbemerkter Beobachtung, saugte den Anblick in sich hinein. Sie drehte sich zur Seite, nahm das dünne Tuch mit, das sie bedeckte und bot ihm den Anblick der nackten Rückseite. Ihm wurde schwindlig beim Blick auf die
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