Mattuschkes Versuchung
unbekleidete Gestalt, nur Zentimeter von ihm entfernt. Noch eine Weile kostete er die Erregung in atemloser Spannung aus, dann verließ er das Zimmer wieder auf Zehenspitzen.
Kornfelds luden ihn häufiger ein, er wurde fast zu einem Familienmitglied. Sie führten ein vornehmes, gastfreundliches Haus, interessante Leute lernte er dort kennen, knüpfte Verbindungen, die sich bei geschäftlichen Aktivitäten auszahlten. An einem dieser Abende lernte er Martine Pionto kennen, die Geschäftsführerin einer auswärtigen Filiale, braunhaarig, kess und offenbar tüchtig. Sie war ihm sofort sympathisch, und auch er schien ihr zu gefallen. Kornfeld war ausgezeichneter Stimmung, bot exzellente Bordeauxweine an, ein 1985er Rauzan-Ségla gefiel Mattuschke in seiner Feinnervigkeit und milden Süße am besten.
»Der 1982er ist zwar als Jahrgang besser, aber nicht bei diesem Gut«, klärte ihn Kornfeld auf. Am nächsten Tag besuchte Martine ihn im Büro, ließ sich über seine Arbeit informieren. Er lud sie zum Mittagessen ein, sie unterhielten sich, als seien sie schon lange miteinander bekannt und versprachen ein baldiges Wiedersehen. Sie war intelligent, gut aussehend, hatte eine wache Frische, freundlichen Charme und Niveau.
Das nächtliche Erlebnis ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, er musste das Haus wieder aufsuchen. Er fuhr am Tag hin, wollte ihren Namen erfahren, jetzt, wo ihr Anblick ihm gehörte. Es sollte keine anonyme Beziehung sein. Charlotte Spitzer hieß sie, »Charlotte«, sagte er in unterschiedlicher Betonung wie ein Schauspielschüler, jetzt kannte er ihren Namen. Es trieb ihn erneut zum Haus, wieder wartete er, bis die Lichter erloschen waren und schlich auf dieselbe Weise nach oben. Auch diesmal gelang es, unbemerkt in ihr Zimmer zu kommen. Es war warm und schwül, den ganzen Tag über hatte sich ein Gewitter angekündigt, sich dann aber zurückgezogen. Sie lag nackt auf dem Bett, die Decke an den Füßen zusammengerollt. Gebannt betrachtete er ihre Schönheit mit angehaltenem Atem, ihr kurzes Haar, das sich im Nacken kräuselte, die zart gebräunte Haut, nur an Brüsten und Schoß weiß geblieben, die Lippen, im Schlaf wie zu einem Kuss geformt. »Charlotte«, sein Mund bildete den Namen lautlos. Er trat näher, ließ seinen Blick zentimeterweise über die sanft geschwungene Landschaft ihres Körpers schweifen, nahm jede Stelle in sein Gedächtnis auf. Reste von Parfüm und Düften hingen im Raum wie vergessene Beeren nach herbstlicher Traubenlese. Er erlebte intensive Intimität mit angespanntesten Sinnen, die Kraft des Verbotenen, die sonst keinem Liebhaber vergönnt ist.
Versunken in bebender Erregung, nur eine Hand breit entfernt, versuchte er, kühn nach vorne gebeugt, sie zu berühren, ihre Haut an seinen Fingerspitzen zu spüren, als ohne Warnung ein greller Blitz das Zimmer erleuchtete, dem unmittelbar krachender Donner folgte. Charlotte Spitzer fuhr erschrocken hoch, riss die Augen auf, sah die Gestalt an ihrem Bett, ohne Frage ein Vergewaltiger oder Dieb und schrie hysterisch. Benommen stolperte er aus dem Zimmer, fiel die Treppe hinunter, humpelte hinaus. Bis zum Wagen hatte er noch ein Stück zurückzulegen. Der Schreck saß ihm im Nacken. Nur mit Mühe brachte er den Schlüssel ins Wagenschloss, so zitterten seine Hände. Auf dem Weg nach Hause hörte er die Sirene eines Polizeiwagens. Ob man bereits nach ihm suchte?
Martine traf er jetzt öfter, sie verstanden sich gut, und er hatte das Gefühl, Kornfeld habe ihr Zusammentreffen arrangiert. Das Ehepaar ging geradezu liebevoll mit ihr um und behandelte sie wie eine Tochter. Nicht umsonst fragte er ihn in letzter Zeit häufig, ob er nicht daran denke, eine Familie zu gründen. »Mit der Firma verheiratet zu sein, ist ja schön, aber auf Dauer unbefriedigend«, meinte er augenzwinkernd.
In den Jahren der Zusammenarbeit gab es beachtliche Erfolge, die auf Mattuschkes Initiative zurückgingen. Von dem bewussten Projekt und anderen lukrativen Unternehmungen ganz zu schweigen, hatte er bei dem übernommenen maroden Sägewerk eine zündende Idee. Schnitt man früher nur Bau- oder Brennholz, fügte er die Sparte Fertigbauelemente hinzu, die aus Gründen der Zeitersparnis immer häufiger beim Hausbau zum Einsatz kamen. Bei Frontteilen oder Gauben verzichtete man auf das Mauern und verwandte stattdessen vorgefertigte Leimbinderelemente. Als Nebenprodukt fielen Pellets zum Heizen von Holzöfen an. Man kam damit zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt.
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