Matzbachs Nabel
(»das Wasser ist hier, eh, schmackhafter als am Fuß der Gräber«) hatte Genenger sich nach und nach ein Holzhaus auf Steinfundament in den Hang gebaut. Matzbach inspizierte die Einrichtung – hauptsächlich Eichenmöbel und überflüssige Literatur – und starrte dann aus dem Fenster, während Genenger Tee kochte. Das Dach der Garage, vor der ein ausladender Leichenwagen mit geknicktem Stern stand, konnte auch als Terrasse oder Balkon dienen, lag aber in der prallen Sonne. Der Feldweg führte von der Garage zur Friedhofsmauer und weiter zur Straße am Bach, der hier unmittelbar am Fuß des jenseitigen Hangs verlief. Rechts neben der Garage stiegen süßliche Dünste aus einem Haufen von Gartenabfällen, Unkraut, alten Kränzen und sonstigem Duftmaterial. Die Tür des Werkzeugschuppens stand offen.
Sie setzten sich auf Eichenstühle an den alten Eichentisch und tranken zunächst schweigsam einen Schluck. Matzbach befand, der Assam sei wuchtig, und zündete sich eine seiner schwarzen Zigarren an.
»Ah. Pfft. So. Also, was war jetzt mit deinen Leichen?«
Genenger verschränkte die Arme und grinste. »Nur halb so viel.«
»Bitte?«
»War vor allem ein guter Köder, um dich zum Schaufeln zu kriegen.«
»Schwarzes Schwein. Rattenarsch.«
»O danke. Aber ich wollte dich doch einmal, eh ich den Löffel abgebe, körperlich arbeiten sehen.«
Matzbach zog die Mundwinkel nach unten. »Ist dir gelungen.Machst du sonst alles allein? Keine Sklaven? Nubier, Asylanten, Ossis, irgendwas?«
»Nubier sind hier selten. Nee, manchmal, wenn’s wirklich hektisch wird, hol ich mir n paar Jungs aus dem Dorf, oder jedenfalls aus der Gegend.«
»Verführung Minderjähriger zu Schwarzarbeit?«
Genenger lachte. »So ungefähr.«
»Also, nix is mit Leichen?«
Genenger zögerte, entschränkte die Arme und fuhr sich mit der Handfläche über den kahlen Schädel. »Na ja … Ich weiß nicht so genau. Was ich dir vorhin erzählt hab, mit der Klinik, das stimmt schon. Irgendwas ist da komisch. Soll ich mich wirklich mal drum kümmern?«
Matzbach winkte ab. »Laß es sein. Du weißt, ich langweile mich manchmal, dann freu ich mich darüber, Detektiv spielen zu können. Im Moment langweil ich mich aber nicht.«
»Ein Jammer.«
»Wieso ?«
»Ich hätt was anderes für dich – wenn die Langeweile schlimm genug wär, um dich zu
action
zu bewegen.«
»Noch mehr Gräber buddeln? Leichenwürmer dressieren?«
»Dichter analysieren.«
Matzbach spreizte die Finger der erhobenen Hände. »Da seien die Götter des Olymp vor! Widerlich.«
»Willst du’s dir nicht wenigstens mal anhören?«
»Ich hör doch schon.«
»Osiris K.«
Matzbach schnaufte Wolken ätzenden Qualms aus. »Der Ahrtal-Poet? Wei geschrien. Was gibt’s bei dem zu analysieren?«
»Tja, das ist alles sehr nebulös.«
»Ich liebe Nebel.«
»Häh?«
Matzbach faltete die Hände und blickte einen Moment betrüblich fromm drein. »Nebel, Henri, ist eine Übergangsform zwischen Wolke und Regen, und wie du weißt, sind mir perverse Mischungen lieber als die Extreme, aus denen sie bestehen. Wenn er richtig dicht ist, bewahrt einen der Nebel davor, sinnlos in die Ferne zu schweifen, und öffnet einem statt dessen die Augen für das Unmittelbare, das uns alleweil bedroht: die nächsten zwei Schritte und die Tücken der Heimat.«
Genenger schüttelte langsam den Kopf. »Und Jorinde hält das wirklich mit dir aus?«
»Eine gute Frage. Wir werden das herausfinden.«
»Ihr seid doch jetzt schon fast, wie lange? Zehn Jahre verbündelt. Was heißt da, wir werden das herausfinden?«
»Wochenenden, theurer Pfreund, mal hier, mal da, mal dort; diverse Mésalliancen beiderseits zwischendurch, und alles, was dazu gehört. Das hier ist das erste Mal, daß wir so eine furchterregend lange Zeit miteinander verbringen, am Stück. Mal sehen, was dabei herauskommt.«
Genenger runzelte die Stirn, dann nickte er. »Richtig, stimmt ja. Ihr wart beide oft genug hier, aber nie zusammen.«
»Wir fahren zusammen, wenn wir einander sehen; wozu sollten wir dann noch zusammen woanders hinfahren?«
»Au. Wie alt bist du jetzt, ehrwürdiger Greis?«
»Demnächst dreiundfünfzig, Jüngelchen. Ich halte mich nicht mehr unbegrenzt, und Jorinde ist auch schon zweiundvierzig. Da kommt man so ins Grübeln.«
»Habt ihr irgendwas vor?«
Matzbach wischte über den Tisch. »Reden wir nicht von Dingen, die dich nichts angehen und mich sowieso nicht. Was ist mit deinem Poeten?«
Genenger rümpfte die
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