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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Yüs Augen und blickte an ihm hinab.
    Auf den offenen Handflächen hielt der Chinese ein weißes Tuch, das um etwas Langes gewickelt war. Mit einer gleitenden Bewegung kniete er, kam auf den Knien zum Lager. Er trug nur eine Art hellen Schurz.
    Matzbach betrachtete die weiße Rolle.
    »Nicht jetzt – später«, murmelte Yü.
    »Nein.« Es tat weh; sprechen war neu und grausam.
    Yü kehrte zu seinem Lotospunkt zurück. »Warum?« Seine Stimme war kaum zu hören.
    »Wohin soll ich fliehen? Ich muß mit dem Tod leben.«
    »Ich auch?«
    Matzbach streckte die rechte Hand aus; es tat weh. Er berührte den Griff des langen Messers. Er holte tief Luft; es tat weh. Mit schwerer Zunge sagte er:
    »Jeder ist allein, glückhafter Yü.«
    Die Bewegungen der Muskeln, der Stimmbänder, des Zwerchfells lösten geheime Maschinen aus. Matzbachs Hirn schwappte wie flüssiges Metall; eine Reihe glühender Lanzenspitzen bohrte und drehte sich in seinem Bauch.
    Die Tür zum Treppenhaus öffnete sich halb; jemand steckte den Kopf herein, zog ihn zurück, schloß die Tür wieder.
    Yü bewegte die Lippen kaum. »Es gibt ein Ding zwischen den Mundwinkeln, das heißt: das Durchbeißen.«
    »Durchbeißen? Nun ja, beiß immerzu.«
    »Wie steckt du das weg?«
    Matzbach versuchte, die Nase zu rümpfen. »Au. Hör auf, in meiner Seele zu porkeln. Ich hab keine.«
    »Nur schwärende Leere, wie Konfuzius sagte?«
    Matzbach schloß kurz die Augen. »Ich kann nicht schreien«, murmelte er, »so sehr mir auch danach zumute sein mag. Außer Jorinde wußte keiner etwas von meiner Seele, und mit ihr ist alle Seele und alle Kenntnis verloren.«
    Yü sagte dumpf: »Ich höre dich schreien. Vermutlich willst du mir jetzt zur Ablenkung die Geschichte vom Schneeschuhkarnickel erzählen, ja?«
    »Die war für die Überlebenden. Fühlst du dich als Überlebender?«
    Yü stand auf und ging zur Küche, hantierte eine Unendlichkeit lang darin herum, kam zurück mit zwei Schalen. Eine setzte er auf den Boden, die andere brachte er zum Lager und hielt sie an Matzbachs Mund.
    »Tee?«
    Matzbach blinzelte. Yü schob vorsichtig die Rechte unter Matzbachs Kopf, hob ihn an und ließ ihn trinken.
    Die Tür flog auf, knallte gegen die Wand; eine Hand fing sie an der Klinke, ehe sie zurückspringen konnte.
    Flavius Dittmer trat ein, gefolgt von zwei Männern in unauffälligen Anzügen. Er blickte Yü und Matzbach an, wandte sich halb um, sagte etwas zu seinen Begleitern und näherte sich dem Lager. Die beiden Männer gingen wieder hinaus und schlossen die Tür hinter sich. Dittmer hatte die Hand in der Tasche.
    »Na, wieder an Bord?«
    Er blickte Yü an und zog die Hand aus der Jackentasche; der stumpfnasige Revolver schimmerte matt. »Unser Waffenstillstand gilt?«
    Yü hob die Schultern. »Ich hab mich gerade gegen Selbstmord entschieden.«
    Dittmer nickte langsam und steckte die Waffe ein.
    »Wie fühlst … fühlen Sie sich?«
    Matzbach bewegte die Brauen; es tat weh. »Blendend.« Dann, nach kurzem Durchatmen, setzte er hinzu: »Bruder Flavio.«
    Dittmer zog ein Stückchen Wange zwischen die Zähne und kaute darauf. »Heißt das, ich soll beim Du bleiben?«
    »Warum soll ein Kain den anderen siezen?«
    Dittmer verzog das Gesicht, schaute sich um, holte einen der beiden Schemel heran und setzte sich, etwa eineinhalb Meter von der Bettrolle entfernt. Yü ließ Matzbach noch einmal trinken, stellte die Schale ab, kehrte zu seinem alten Sitzfleck zurück und trank selbst einen Schluck.
    »Was weißt du?« sagte Dittmer.
    »Alles. Fast.« Es tat nicht mehr so weh, jedenfalls nicht körperlich.
    »Alles?«
    »Was wird das?« sagte Yü. »Das Verhör, an dessen Ende die Entscheidung fällt, ob der Delinquent nach Sibirien geht oder gleich erschossen wird?«
    Dittmer stützte die Ellbogen auf die Knie. »Unsinn. Alle Entscheidungen sind gefallen. Dies hier ist … ein Informationsgespräch. Nennen wir es mal so.« Er wandte sich wieder an Matzbach. »Laß hören.«
    »Ich dachte an Rom«, sagte Matzbach leise. »Die Kaiser wechseln, der Apparat bleibt und hält das Reich zusammen.«
    Es gab andere Dinge, wichtigere, blutigere; beinahe war er Dittmer dankbar, daß er ihn dazu brachte, ihn zwang, ihm half, sich auf die unendlich bedeutungslose Realität zu konzentrieren, die andauern würde: den Staat.
    »Noble Formulierung. Weiter.« Dittmers Gesicht war ausdruckslos.
    »Ich muß ein paar Dinge vermischen … Da gibt’s die alte Geschichte vom Zwist der Körperteile – Hände,

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