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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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existentialistische Gehabe und Getue die Erscheinung einer bestimmten Bewußtheit und einer speziellen politischen Haltung und Einstellung ist.
    Zumal das ganze Äußere dieses Kaffees keineswegs ohne jeden weiteren Grund jugendliche Gäste anziehen kann.
    Der Gedanke, sich im großen Kreis der Gäste unter bewußtseinsmäßig Gleichgestellten zu befinden, wird eine der Ursachen für die Fülle des Lokals sein.
    Andererseits darf man nicht ganz übersehen, daß solche Meinungen (die ich aus dem Kreis der Gäste hörte) wie:
    Das hier ist das einzige gemütliche Cafe, das es gibt. oder: Dieses Cafe hier hat wenigstens noch eine kleine persönliche Note usw.
    zeigen, daß der Geschmack auch in dieser Beziehung unterschiedlich ist und zu einem kleinen Teil an der überraschenden Fülle beitragen kann.
    Um einen einigermaßen befriedigenden Erfolg zu erzielen ist eine zielgerichtete und planmäßige Arbeit erforderlich, die sich in folgenden niederschlagen könnte:
    1. Regelmäßiger Besuch des Kaffees, um sowohl die Stammgäste als auch das Personal daran zu gewöhnen. (Zwischen Stammgästen und Personal geht es sehr persönlich zu und bereits an der Art der Bedienung kann man die Stammgäste und zufälligen Gäste durchaus unterscheiden.)
    Ziel: Selbst als Stammgast anerkannt zu werden und Einfluß zu gewinnen.
    2. Vertrautmachen mit den geistigen Interessen und sonstigen Gewohnheiten sowohl von ■■ . als auch ■■ . und evtl. anderer zentraler Personen.
    Ziel: Die verschiedenen geistigen Interessengebiete einzelner Personen wenigstens in einem Detail einigermaßen zu beherrschen.
    3. Die Informationsperson muß sich sowohl den dortigen Gepflogenheiten (im Umgang mit dem Personal und einigen Stammgästen) anpassen als auch in seiner äußerlichen Erscheinung in den Rahmen der Stammgäste passen (Dabei erscheint mir das Bekanntwerden mit weiblichen Stammgästen notwendig und erfolgsversprechend.)
    Ziel: Keinerlei wesentliche äußere und innere Unterscheidungsmerkmale zwischen ■■ . und den dortigen Gästen bemerkbar werden zu lassen.
    4. Durch Bekanntwerden mit einem Kreis, der möglicherweise nur mittelbar mit ■■ . und ■■ . zusammenhängt, über diesen an zentrale Personen heranzukommen.
    Ziel: Außer ■■ . und ■■ . evtl. vorhandene zentrale Figuren (die zweifellos vorhanden sind) herauszufinden.
    5. Intensives Kennenlernen von ■■ . u. ■■ . und anderer und alles weitere der jeweiligen Situation anzupassen.
    Bei dieser Art u. Weise des darangehens, müßten auch die dort zahlreich verkehrenden Ausländer mit eingezogen werden.
    Etwa so oder in ähnlicher Form scheint mir die Aufgabe zielgerichteter und die Lösung erfolgversprechender zu sein.
    gez. Heber
    Soviel von den Genossen der »Runden Ecke« und ihren Zuträgern. Sie wußten vieles, aber längst nicht alles. Sie wußten mehr, als sie verwenden konnten, und zum Glück auch weniger, als sie dachten. Sie arbeiteten Jahrzehnte, um den Tag X zu verhindern, und als er gekommen war, waren sie im Angesicht der massenhaften Gewaltlosigkeit machtlos.

Der letzte Bohemien
    Zur Trauerfeier spielte seine alte Jazzband ohne Drummer. Das Quartett war zum Trio geschrumpft. Das Schlagzeug stand verwaist in der Halle.
    Heute überschwemmen Kopien den Alltag, Lutz Lippold war ein Original. Seine Sprache war vom Studium der Theologie und Kunstgeschichte geprägt, von seltenen Wörtern und Wendungen. Er konnte Witze erzählen wie kein zweiter, servierte sie mit trockenem Humor, mit beherrschter Mimik, erst nach der Pointe leistete er sich dann ein kurzes knarzendes Lachen.
    Sein Vater war Besitzer einer Pelzverarbeitungsfirma und Pelzhändler am Brühl gewesen, verstand dadurch auch als Nichtjude Jiddisch, was vor dem Krieg in dieser Branche selbstverständlich gewesen ist. Durch viele Geschichten hatte Lutz diesen Klang im Ohr behalten und erzählte, aus dem reichen Fundus des blitzgescheiten jüdischen Humors »angejiddelt«, solche Witze.
    »Na, Alter …«, sagte er oft, wenn er gute Freunde oder Bekannte traf. Äußerlich wie aus dem Ei gepellt, meist in Schlips und Kragen. Lächelnd kraulte er seinen gepflegten Bart. Rauchte permanent die schrecklichen Karo, trank sein Bier, seinen Weißen. In Lippolds Tagebuch findet sich eine Eintragung, daß der Alkohol ein Zuhälter ist, für den man erst später bezahlen muß. Und bezahlen mußte er schließlich.
    Lippold litt unter permanenter Geldknappheit: »Könntest du bitte mal meinen Kaffee

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