Mauer, Jeans und Prager Frühling
rein. Und sie drohten, und ich wachte mit Angst auf.
Durch dieses Erlebnis kann ich mir annähernd vorstellen, was Menschen in meinem Freundeskreis psychisch zu verkraften hatten, wenn sie nach unendlichen Verhören schließlich wie Erich Loest Jahre in Gefängnissen der DDR zubrachten.
Die größte Überraschung war für mich, daß die Stasi in ihrem krankhaften Dokumentationswillen nicht nur Fotos von meiner – im Stasijargon sogenannten – »Schmiererei« angefertigt hatte, sondern sich in meinen Akten fein säuberlich abgeheftet auch eine Tüte mit der »Tatwaffe« befand: das beschlagnahmte Stück Kreide! Etwas Kurioses fand ich beim Aktenstudium heraus: »Mein« Stasimann hatte vermutlich einen IM-Berichte-Plan und erfand dann, wie ich bei meiner Einsicht in die Unterlagen feststellte, zu den zwei Treffs, die ich mit ihm hatte, weitere hinzu. Dawar ich angeblich einfach mal nicht am Treffpunkt erschienen oder krank … aber am Schluß schreibt er endlich die Wahrheit: »Er war jedoch nicht bereit, dem MfS Namen über Personen bzw. Sachverhalte zu berichten.«
PS. Im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig sah ich 2002 Akten der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei ein: »Erinnern wir uns nochmals der ersten Stunden und Tage nach der Brudertat zum Schutz der ČSSR und damit des Friedens und des Sozialismus: Auch bei uns im Bezirk krochen einige Ratten aus den Löchern hervor, schmierten, verbreiteten Hetzblätter … 130 Fälle standen im Zusammenhang mit den Ereignissen in der ČSSR.
So gab es in
30 Fällen Hetzzettelverbreitung
44 Fällen Schmierereien
86 Fällen mündlich begangene Straftaten
15 Fälle andere Begehungsweisen.«
Bei der Lektüre stieß ich noch einmal auf einen Bekannten aus meinen Akten:
»In der Nacht von 27. zum 28.8.1968 gelang es den Ultn.d.VP Berger, ABV im VPKA Leipzig, Revier Mitte, durch taktisches richtiges Verhalten und in guten Zusammenwirken mit dem ODH des VPKA und dem FStW, Lina 64, zwei Täter zu stellen, die an den Haustüren Schmierereien anbrachten. Der Genosse Ultn. wurde vom Leiter des VPKA Leipzig ausgezeichnet.«
Und so habe ich durch meine Tat dem Genossen Berger vielleicht noch zu einem Präsentkorb verholfen!
Schluß
Im »Geteilten Himmel« erzählt Christa Wolf von der Liebe zwischen Manfred und Rita im geteilten Deutschland. Nachdem der junge Mann aus der DDR geflohen ist, schreibt er der Geliebten: »Die sechziger Jahre … Glaubst Du immer noch, sie werden als das große Aufatmen der Menschheit in die Geschichte eingehen? Ich weiß natürlich, daß man sich lange Zeit über vieles betrügen kann (und muß, wenn man leben will). Aber das ist doch wohl nicht denkbar, daß Ihr alle nicht wenigstens jetzt, angesichts der neuesten Moskauer Parteitagsenthüllungen, einen Schauder vor der menschlichen Natur bekommt? Was heißt hier Gesellschaftsordnung, wenn der Bodensatz der Geschichte überall das Unglück und die Angst des einzelnen ist?«
Es gab kein Aufatmen in den Sechzigern; als das Dezennium zu Ende ging, war die Idee von einem menschlichen Sozialismus plattgewalzt.
Die Proteste des Westens gegen den Einmarsch hielten sich in Grenzen. So gesehen respektierten letztlich auch die Westmächte die Breschnew-Doktrin von der begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten. Einige dort waren vielleicht sogar froh, daß auf diese Weise der Versuch zur Formung eines neuen Gesellschaftsmodells beendet wurde. Ich glaube, es klatschten nicht nur orthodoxe Funktionäre des Ostblocks Beifall, denn möglicherweise wäre diese Art Sozialismus auch in westlichen Ländern nicht ohne Einfluß geblieben. Viele Menschen in Frankreich und Italien hingen in jenen Tagen der Idee des Eurokommunismus an, so hätten diese tschechischen Erfahrungen, diese Mischung von Marktwirtschaft und Sozialismus am Ende wohl gar einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz entstehen lassen können?
Nun gut, das sind eben die Träume eines Ost-68ers.
Die reale Perspektive für eine menschliche Gesellschaft wurde in Prag jedenfalls zerstört, der Traum von Gerechtigkeit war schnell ausgeträumt. Die Reaktion auf die West- und die Ost-68er zeigte, daß die Herrschenden beider Systeme keine tiefgreifenden Veränderungen zulassen würden.
Nach den Ereignissen im August 1968 breitete sich im Osten schlagartig Lähmung aus. Die Bücher von Kafka wurden in der Tschechoslowakei ein zweites Mal verboten, in der DDR waren sie noch gar nicht verlegt worden.
Von einem Tag auf den anderen
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