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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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lernen!« Das sagte er lächelnd, und da war garantiert etwas dran, wer weiß, wie wir 16jährigen damals durch die Gegend schlurften.
    Was den prophezeiten »anderen Ton« anbelangte, so war der vom Meister stets moderat, nie laut, aber dabei durchaus nicht ohne Strenge. Es war das rechte Maß, die rechte Mischung.
    Ernst Küttler war immer gerecht, lächelte gern, Frauen haben ihn bestimmt als charmant in Erinnerung. Respekt hatten wir vor ihm allemal. Wenn der Meister auftauchte, wurde die Schwatzpause sofort abgebrochen. Keiner, der nicht sofort weitergearbeitet hätte, wenn er sich näherte. Für mich als vaterlosen Halbstarken war er in jener Zeit besonders wichtig.
    An einem heißen Sommertag gab es von ihm auch mal – nach besonders guter Arbeit – eine Flasche Bier mit dem berühmten Schnappverschluß. In einem kühlen Raum, seinem Büro, hatte der Meister einen kleinen Vorrat unter dem Schreibtisch deponiert.
    Für meine Generation gilt: wir sind von Männern erzogen worden, die allesamt im Krieg waren; diese Jahre haben sie, meinen Lehrmeister wie auch meine Lehrer in der Schule, auf besondere Weise geprägt. Ernst Küttler war als junger Unteroffizier im Jagdgeschwader Bölkow. Als ihn dann der Mangel an Flugzeugen, an Benzin, letztlich an allem, vom Himmel auf die Erde versetzte, erhielt er kurz vorm Ende von einem russischen Scharfschützen einen Halsdurchschuß. Die beiden Narben waren deutlich zu sehen. Und er hat seinem Gott gedankt, daß ihn dieser Schuß vor weiterem Fronteinsatz bewahrte. Allerdings: sein linker Arm war gelähmt und baumelte wie ein nutzloses Anhängsel am Körper. So kam Ernst Küttler in Gefangenschaft, den gelähmten Arm in Gips. Als sowjetischer Kriegsgefangener betrat er jenes Lager, das wenige Tage zuvor noch das Teuflischste gewesen war, was sich Menschen bis dahin ausgedacht hatten: Auschwitz. Und er sah die Ruinen der gesprengten Gaskammern. Während er davon erzählte, verströmten Tagetes ihren intensiven Geruch, und von den Glasscheiben tropfte Kondenswasser auf das Blatt eines Philodendrons, das wie zur Bestätigung nickte. In dieser Gewächshauswelt, in der es so betörend duftete, erschienen uns die Erzählungen besonders unwirklich.
    Als Ernst Küttler schließlich wieder nach Hause kam, riet man ihm, sich den Arm amputieren zu lassen, weil erihn doch nur behindere. Sein Schwiegervater, ein Physiotherapeut, war dagegen und behandelte den Arm über lange Zeit mit Massagen. Eines Tages spürte Ernst Küttler ein Kribbeln in den Fingern, bald konnte er den Arm bewegen und dankte wieder aus vollem Herzen seinem Gott. Mit meinem Lehrmeister Ernst Küttler war ich zwei Jahre zusammen. Ich möchte nie die Zeit der oft harten, körperlichen Arbeit missen. Das positive Vorurteil vieler Menschen: Ach, Gärtner, herrlich! Die schönen Blumen! Und immer an der frischen Luft, bestätigte sich im Alltag allerdings nicht. Erst einmal ist Erde erwiesenermaßen schwer! Und die mußten wir ja unentwegt durch die Gegend karren.
    Dann hat Erde im Winter den Nachteil, daß sie gefriert!
    Selbst bei 12 Grad minus kommen Sie mit der Spitzhacke ganz schön ins Schwitzen, bis Sie so viel losgeschlagen haben, daß Sie eine Schubkarre damit füllen können.
    Die Saatkisten, die wir für unsere Arbeit benutzten, waren meist vom volkseigenen Fischhandel übernommen. Sie rochen nach Hering und Makrele, und in der Gärtnerei kam dadurch etwas Ostseestimmung auf. In die Kisten wurde zunächst ein altes »Neues Deutschland« gelegt, damit die Muttererde unseres Vaterlandes nicht durch die Ritzen rieselte. So diente das zentrale Parteiorgan letztendlich noch einem guten Zweck.
    Gern arbeitete ich mit der Kunz-Ingrid zusammen. Sie war etwa mein Jahrgang. Die Haare am Hinterkopf zu einer »Nirle« gedreht, doch stietzten immer welche heraus. Sie war schlank, stets fröhlich, und es machte Freude, sie am Morgen zu sehen. Ingrid wirkte durch ihren Gang selbst in den unerotischen Arbeitshosen und Gummistiefeln reizend. Sie stammte aus Wilkau-Haßlau, also aus jener legendären sprachlichen Gegend, wo die Hasen Hosen und die Hosen Husen haßen. Wenn sie am Samstag – wir arbeiteten damals noch bis mittags – die Gewächshäuser wischte und den Scheuereimer suchte, dann lautete die Frage in ihrem Dialekt: »Wuh iss’n dorr Scheierahmer?«
    Im Warmhaus stand ein uralter eingewurzelter Gummibaum. Meister Küttler bestieg ihn einmal im Jahr und säbelte mit einer Säge Äste ab. Er erntete quasi die

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