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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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und die Nationale Volksarmee hatten den sowjetischen Sektor abgeriegelt und blockierten alle Wege, die nach Westberlin führten. Sowjetische und amerikanische Panzer hatten die Rohre aufeinander gerichtet. Für den Verkehr nach Westen blieb nur der Bahnhof Friedrichstraße geöffnet.
    Die Grenze zwischen Warschauer Pakt und NATO ging nun mitten durch Berlin.
    Die Menschen in Ost und West standen fassungslos an der Demarkationslinie und weinten. In jenem Jahr feierte ein Schlager hüben wie drüben Triumphe: Heidi Brühl sang »Wir wollen niemals auseinandergehn, wir wollen immer zueinanderstehn …«. Die Liebesschnulze bekam durch die aktuelle Politik eine ganz besondere Bedeutung. Viele Westberliner und Westdeutsche forderten ein militärisches Eingreifen. Aber die Westmächte lehnten ab. Das wäre der Beginn eines dritten Weltkriegs gewesen. Und die frisch errichteten Häuser in der Stalinallee wären sechzehn Jahre nach Kriegsende schon wieder Ruinen geworden.
    Wie haben wir am 14. August 1961 in meiner Gärtnerei, in der ich lernte, über die »Maßnahmen zur Grenzsicherung« gesprochen? Bei uns war niemand in der Partei, also werden wir offen geredet haben. Ich weiß noch, daß viele Ostdeutsche von diesen Maßnahmen sehr unangenehm überrascht wurden, weil sie für jene Tage ihre Flucht geplant hatten. Man erzählte über solche Leute:
    Die hatten schon alles weggegeben!
    Die hatten nischt mehr!
    Die schliefen zu Hause nur noch auf Luftmatratzen.
    Die haben sich bei ihren Verwandten erst mal bißl Geschirr geholt.
    Ich entsinne mich lebhaft an ein Gespräch mit einem Lehrer in der Berufsschule. Der Begriff »Antifaschistischer Schutzwall« für die Mauer war ja besonders dreist. Deshalb stellte ich mich dumm und fragte, wie denn diese Formulierung zustande käme. Das hieße doch, in Westberlin herrsche der Faschismus …?
    Nun ja … also … so direkt … aber … es gebe eben Revanchisten … die die Ergebnisse der Geschichte nicht akzeptierten …
    Und die sind alle in Westberlin?
    Ja … nein … Berlin wäre eben die Frontstadt …
    Aber wieso zeigen die ganzen Sperren nach Osten, wenn es um die westdeutschen Revanchisten gehe?
    Nun … es gibt ja auch … Provokateure aus dem Osten … Grenzverletzer … aufgehetzt aus dem Westen … deshalb dient der Schutzwall in jeder Beziehung dem Frieden …
    Spätestens seit der Erfindung des Flugzeugs ist doch mit einer Mauer kein Krieg mehr zu verhindern …
    Da konnte der langsam ins Schwitzen gekommene, durchaus freundliche Berufsschullehrer nur mit mir hoffen, daß solch eine Zuspitzung der Lage vorher am Verhandlungstisch gelöst werden würde.
    Eins stand jedenfalls fest: aus der von mir immer mal wieder geplanten Reise ins geheimnisumwitterte Westberlinwürde nichts mehr werden. Nichts da mit den erträumten »Westfilmen«, worunter wir jungen Burschen vor allem kernige Cowboy- und Musikfilme verstanden. Nichts da mit Kaugummi und Comics, die wir damals noch Bilderhefte nannten, oder einem Bummel über den sagenumwobenen Ku’damm, von dem immer in den höchsten Tönen geschwärmt wurde.
    Und wie war ich enttäuscht, als ich die Prachtstraße dreißig Jahre später endlich sah! Viele schnell hochgezogene, nichtssagende Fünfziger-Jahre-Bauten neben noblen, erhalten gebliebenen Jahrhundertwende-Gebäuden. Dieses Westberlin unterschied sich an vielen Stellen überhaupt nicht von der Tristesse der Hauptstadt der DDR, und ich fragte mich – eine Forderung von »Experten« bedenkend –, wann man denn nun beginnen würde, auch in Westberlin verschiedene Neubauten abzureißen …

Wurzelsepp
    1960 hatte ich die Schule beendet. Nach dem letzten Schultag feierte ich mit Freunden tagsüber in unserer Wohnung. Wir trugen alle weiße Hemden – das war damals das Zeichen für einen besonderen Tag, bei Feiern einfach obligatorisch. Ich »hottete« auf unserem Klavier herum, der Klotz-Jürgen mit verspiegelter Sonnenbrille drosch auf eine Pauke mit zwei daran befestigten Becken ein, und mit uns grölten Benny, Joe und Uwe ein paar Schlager. Die Musik schallte durch die geöffneten Fenster auf die Leipziger Straße, meine Mutter hatte Bedenken, ob nicht, durch den Lärm angelockt, ein »Schutzmann« kommen könnte. Es kam aber keiner, und wir stellten irgendwann erschöpft das Gejohle ein. Die Schule war also – heiß ersehnt – für immer vorbei, und wir glaubten damals, wir hätten etwas zu feiern. Wir wußten noch nicht, daß wir nie wieder so viel Zeit im Leben

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