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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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zu Hause – die Straße entlangzuzotteln. Nicht egal war es uns zwei jungen Menschen von 17, 18 Jahren. Die reine Schande! Wir haben uns im Spaß die Gummijacken über den Kopf gezogen, damit uns niemand erkennen sollte.
    Der Mist wurde immer Ende Januar, Anfang Februar geholt, wenn die Frühbeetkästen gepackt wurden. Etwa 20 Zentimeter Mist, dann 10 Zentimeter Erde. Die Cyclamen standen dort drin quasi auf warmen Füßen beziehungsweise Wurzeln. Das Positive bei dieser Arbeit war, daß man auch bei größter Kälte nie an die Füße fror!
    Zu unserer Gärtnerei gehörte eine große Freilandfläche. Dort agierten in unverwüstlichen Holzpantoffeln die ebenfalls unverwüstlichen Gartenfrauen Emma und Klara. Beide waren sogenannte Umsiedler. Emma war eine gutmütige Frau, Klara neigte etwas zu Feldwebel-Manieren. Mit ihnen arbeitete Frau Sieg. Sie war mit ihrem Mann aus Ostpreußen nach Zwickau gekommen.
    Wenn man durch ein hölzernes Gartentor das Freiland betrat, stieg ein kleiner Weg nach oben. Gleich am Anfang duftete es aus dem Rosenquartier. Links und rechts lagen Felder. Ein dörfliches Milieu mitten in der Stadt. Das benachbarte Stadtgut, wo der Sieg-Erich waltete, verstärkte noch diesen Eindruck.
    Die schwersten Arbeiten habe ich in der angrenzenden Baumschule erlebt. Das Reich vom Windisch-Kurt, der bei Wind und Wetter seine Bäume, Bäumchen und Gehölze, nicht etwa »Büsche«, pflegte. Ich erinnere mich, wie wir eines Tages 10jährige Pappeln »ernteten«. Mit einem Rodespaten, an dessen Stiel ein verlängertes Metallblatt saß, hieben wir voller Schwung auf die Wurzeln ein. Der Spaten tanzte in der Luft, bis wir eine Kerbe hineingehackt und diese allmählich vertieft hatten. Schließlich war eine Wurzel nach der anderen mit einem knirschenden Geräusch durchtrennt, man spürte förmlich die Schmerzen des Baumes. Und der ächzte noch einmal mörderisch auf, wenn er aus seinem angestammten Reich gehievt wurde.
    Der Windisch-Kurt hatte oft ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, das nicht nur der Freude an der Natur geschuldet war, sondern zu Teilen dem kleinen Depot von Kräuterlikör, das er in seinem Holzhüttchen vorbeugend, zur inneren Anwendung gegen Wind und Wetter, angelegt hatte.
    Gellerts Butterbirnen habe ich aus diesem Quartier in guter Erinnerung. Mit der Kunz-Ingrid räkelte ich mich in der Mittagspause im Gras, wir schauten in den blauen Himmel und aßen eine Birne zum Brot. Das waren jene Minuten, die der romantischen Seite des Gärtnerberufes besonders nahe kamen, die eine halbe Stunde Urlaubsgefühl vermittelten.
    Auf dem Freiland blühten Tausende Stiefmütterchen, bauten wir diverse Kohlsorten an, blumigen und weißen und roten. Ich weiß noch, wie wir im November welchen mit klammen Händen geerntet haben. Fronarbeit. Und die Arbeitsfrauen liefen über das Feld, den ganzen Tag mit dem Kopf nach unten, und murrten nicht. Sie kannten nichts anderes.
    Heute ist das Freiland längst verschwunden. Dort, wo wir mitten in der Natur in saftige Gellerts Butterbirnen bissen, steht ein Fabrikgebäude der Westermann Druck GmbH.
    Als ich die Lehre beendet hatte, konnte ich leider nichtin der Gärtnerei bleiben. Es gab keine Planstelle, und so mußte ich in einer Brigade für Freiflächengestaltung arbeiten. Keine blühenden Pflanzen mehr, die Romantik des Gewächshauses wurde von der harten Realität verdrängt. Es gab nur noch zwei Begriffe: die Schaufel und die Erde. Und die Erde mußte mit einer Schaufel an eine andere Stelle geschippt werden. Die stupideste Zeit meines Lebens. Die Schaufel bestimmte den ganzen Tag.
    In meinem Arbeitsvertrag, ausgestellt auf einem Formular des VEB Vordruck-Leitverlages Spremberg, stand, daß ich in die Lohngruppe B 6 geraten war und einen Grundlohn von 1,71 Mark pro Stunde bekam. Dieser Lohn war eigentlich kein Grund für besonders fleißige Arbeit, aber wir nahmen das ohne Murren hin. Im Arbeitsvertrag wurde ausdrücklich darauf verwiesen, daß ich in einem volkseigenen Betrieb arbeitete. »Dieser Betrieb ist gesellschaftliches Eigentum und gehört allen Werktätigen.« – Vielleicht verdiente ich deshalb so wenig, weil mir ja auch noch ein Teil der Gärtnerei gehörte! »Die Arbeitsrechtsverhältnisse in diesem sozialistischen Betrieb sind daher Verhältnisse der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und der sozialistischen gegenseitigen Hilfe der von Ausbeutung befreiten Werktätigen.«
    Während also in den privaten Gärtnereien der DDR Mord und Totschlag

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