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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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haben würden wie in diesen vergangenen zehn Jahren! Kurzsichtig dachten wir nur daran, daß es nun endlich keine Schularbeiten mehr gibt und Schluß ist mit der ganzen Streberei. Dabei hätte uns doch klar sein müssen, daß die auf uns zukommende Lehrzeit kein Honiglecken werden würde.
    Als ich 1960 die Zehn-Klassen-Schule beendete, dirigierte Vater Staat die männlichen Lehrlinge in die Industrie oder Landwirtschaft. Berufe wie Buchhändler oder Dekorateur, für die ich mich interessierte, blieben weiblichen Lehrlingen vorbehalten. So durfte ich nicht in die Buchhandlung Marx zu Christoph Freitag und auch nicht ins Konsum-Kaufhaus in die Hauptstraße. Eins stand für mich fest: in die Produktion würde ich nicht gehen. Der polytechnische Unterricht im VEB Sachsenring hatte mir gereicht.
    Die Tristesse der zugigen Werkhallen, der Lärm der Stanzenund Drehbänke, der Geruch nach Öl waren nicht meine Welt. Einmal hatten wir am Band bei der Fertigung des »Trabbis« vier Stunden mit einem Elektrogerät irgendwelche Muttern anziehen müssen. Ich war mir wie Charlie Chaplin in »Modern times« vorgekommen.
    In den Ferien hatte ich einmal in Zwickau in der Gärtnerei Adler gearbeitet. Natur und Ruhe statt Werkstatt und Maschinenlärm – das hatte mir gefallen. Also warum nicht Gärtner? Natürlich hatten die Erwachsenen uns Jugendlichen immer schon mal scherzhaft gedroht: »Na, wartet nur, wenn die Lehre beginnt! Da pfeift’s aus’m andern Loch! Da wern’se euch die Hammelbeene langziehn!«
    Ich landete also als »Stift« in der Stadtgärtnerei an der Crimmitschauer Straße, die an den Friedhof grenzte. Und ich merkte sehr schnell, daß das schulische Leben gegenüber der Lehrzeit der »reine Lenz« gewesen war.
    Im ersten Lehrjahr verdiente ich 40 Mark. Ich weiß nicht mehr, wieviel ich davon meiner Mutter »Kostgeld« gab, denn unsere finanzielle Situation war seit dem Tod meines Vaters mehr als bescheiden. Es reichte jedenfalls noch dazu, immer mal in das an der Ecke gelegene Café Hildebrandt zu gehen. So nannten es meine Eltern. Offiziell hieß es inzwischen Café Einheit, aber so sagte kein Mensch, abgesehen davon, daß die ja nun schon geraume Zeit verspielt und überhaupt nicht mehr in Sicht war. Der Volksmund nannte das Kaffeehaus nur »Leichencafé« oder – abgekürzt – »Leica«, weil sich dort nach Beerdigungen die schwarz gekleideten Trauergäste zur Feier versammelten. Entweder feucht-fröhlich oder feucht-traurig … je nachdem. Ob jemand dort die verlorene Einheit Deutschlands beweint hat, ist nicht überliefert.
    An der Kuchentheke vom »Hildebrandt« holte ich mir meist ein Stück Mohnkuchen – seinerzeit mein Lieblingskuchen. Schon damals behauptete man, Mohn mache dumm, aber so schlimm kann die Wirkung nicht sein, denn sonst wäre dieses Buch wegen eines späten Mohnverzehrschadens nicht geschrieben worden.
    Nach der Wende wurde aus dem Kaffeehaus ein französisches Restaurant, jetzt residiert dort ein Grieche, und wenn das Buch erscheint, kann die Nationalität schon wieder gewechselt haben. Bisher sind die wunderschönen Art-déco-Glasfenster des alten Cafés noch zu bewundern, aber für den Erhalt gibt es in diesen schnellen Umbau-Zeiten leider auch keine Gewähr.
    Nachdem ich Gärtnerlehrling geworden war, tauchte in meinem Freundeskreis für mich die Bezeichnung »Wurzelsepp« auf. Ich glaube, den Spitznamen habe ich meinem Freund Joe zu verdanken. Nicht, daß mich der Name geärgert hätte, aber von einem Abiturienten so angesprochen zu werden, wurmte einen Werktätigen doch etwas. Das legte sich sofort, als derselbe Joe ein Jahr später wegen Studienproblemen bei mir auftauchte: alle Abiturienten sollten erst einmal einen Beruf erlernen. Joe saß da, druckste herum und ließ schließlich die Katze aus dem Sack … Wie das denn so wäre … Gärtner … Ich grinste ein wenig, und bald radelten wir gemeinsam in die Stadtgärtnerei. Dank meines Vorlaufs konnte ich nun schon mit gärtnerischem Wissen brillieren.
    Etliche Jahre war ich in der Vergangenheit mit denselben Schülern zusammengewesen, mit der Lehre traten auf einen Schlag eine ganze Reihe neuer Leute in mein Leben. Da war erst einmal mein Lehrmeister Ernst Küttler, ein frommer Mann im besten Sinne, trotzdem ließen ihn die Genossen vom VEB Park- und Gartenanlagen der Stadt Zwickau in Ruhe.
    Ein Satz von ihm ist mir aus der Anfangszeit meiner Lehre in Erinnerung geblieben: »Na, Lutz, dir müssen wir auch noch mal das Laufen

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