Mauer, Jeans und Prager Frühling
neuen Gummibäume. Die Äste wurden nachgeschnitten, die Blätter gefaltet und ein Schnipsgummi drumgemacht. Sozusagen Gummi zu Gummi. Dadurch brauchten sie nicht so viel Platz. Dann wurden die Stecklinge in den Sand gesteckt und bildeten Wurzeln. Ich selbst bekenne, daß ich Gummibäume nicht leiden kann, auch wenn mein Freund Tom Pauls ein viel bejubeltes Lied über den Gummibaum singt. Mir sind die glänzenden glatten Blätter irgendwie zu künstlich. Manchmal brachte eine Frau vor dem Urlaub ihren Gummibaum zu uns (Männer hielten es wahrscheinlich für unter ihrer Würde, solch eine Zimmerpflanze durch die Gegend zu schleppen!). Wenn sie ihn dann wieder abholte, schwärmte sie von der guten gärtnerischen Pflege. Die hatte allein darin bestanden, daß wir beim Gießen mit dem Schlauch ab und an auch den Gummibaum von Frau Meyer oder Müller mit dem von Hand regulierten Wasserstrahl benetzten. Aber im Gewächshaus war’s eben wärmer als im Wohnzimmer! So fühlte sich der Gummibaum wie zu Hause – und wuchs schneller!
In jenem Gewächshaus, in dem der große Gummibaum wurzelte, gab es ein sogenanntes Vermehrungsbeet. Ein besonders schöner Name. Normalerweise findet bekanntlich die Vermehrung im Bett statt. Ein Stück Sandbeet war für jene Stecklinge vorgesehen, die fäuleanfällig waren, wie zum Beispiel die von Chrysanthemen. Auch Steckhölzer kamen ins Vermehrungsbeet mit Sand und Torfmull. Die Liguster-Hölzer erinnerten dann an Bleistifte, die man am Strand der Ostsee in den Sand gesteckt hatte.
So wurde das Vorhandene immer wieder vermehrt. Das wunderbare Perpetuum mobile des Gärtners.
Heute haben es Gärtner gar nicht gern, wenn Leute wissen, daß man die Pelargonien oder das Margeritenbäumchen im Herbst nicht entsorgen muß, sondern daß man mit ihnen über viele Jahre leben kann. Nun wünschen sichdie Gärtner Menschen, die nicht ahnen, daß vieles »immer wieder kommt«. Alles wegwerfen und im nächsten Jahr neu kaufen – das ist in dieser Gesellschaft überlebenswichtig!
Die lateinischen Namen der Pflanzen faszinierten mich: Canna indica … Cyclamen persicum giganteum … Callistephus chinensis. In den Bezeichnungen klangen ferne Länder nach.
Aus solchen Träumereien wurde man sehr schnell gerissen, wenn es um das Ausfahren der Dekorationspflanzen ging. Mit einem klapprigen Framo. Eine besonders ungeliebte Arbeit. Davor drückte sich, wer konnte. Ein triftiger Grund war die Schlepperei, denn man mußte die Lorbeerbäume in den großen schweren Kübeln meist irgendwelche Treppen »hochasten«. Sowohl im »Schwanenschloß« als auch im Schlachthof, dessen Saal besonders verhaßt war, weil er sich unterm Dach befand. Verschärfend kam dazu, daß wir den Dekorationspflanzen-Mann alle nicht leiden konnten. Wenn jemand zum Mittun gesucht wurde, versteckten wir uns am Topfschuppen oder gingen anderswo in Deckung. Dieser B. war ein muffliger Mensch, der kein privates Wort über die Lippen brachte, keinen Satz zum Tag, zu einem Geschehen, nichts.
Launischer als das Wetter im Bermudadreieck.
Nie machte man ihm etwas recht. Er war immer am Stänkern und maulte in seinem superlangsamen Sächsisch: »Na … looooos … loof … ma … bißl … schneller …« Und während man schleppte, dekorierte er, Zigarre im Mund, am Bühnenrand die grüne Schmuckkante: einen Asparagus, einen Chlorophytum, einen Asparagus, einen Chlorophytum … wegen ihrer weißgrünen Farbe wurden sie nach wie vor »Sachsenband« genannt, obwohl es Sachsen längst nicht mehr gab.
Links und rechts wurde das Rednerpult, das mit dem entsprechenden Emblem der Partei oder der Gewerkschaft geschmückt war, von einem Lorbeerkübel flankiert. So konnte der Redner grün umrankt über die Erfolge beim weiteren Aufbau des Sozialismus palavern. Davor standmeist ein Blumenstrauß, und manch einer der gelangweilten Zuhörer hätte sich gewünscht, so einen Strauß kaufen zu können, denn Schnittblumen gehörten zu den Mangelwaren in der DDR. Reichlich und zur entsprechenden Jahreszeit verläßlich vorhanden waren nur die Blumen auf Wiese und Feld.
Noch schlimmer, als mit B. Dekorationspflanzen zu transportieren, war Mist fahren. Einmal hat es mich zusammen mit der Kunz-Ingrid ereilt. Am GST-Reitstützpunkt am Schwanenteich luden wir Mist auf das Pferdefuhrwerk vom Sieg-Erich und mußten dann hoch auf dem dunkelgelben Wagen durch die ganze Stadt fahren. Dem Sieg-Erich war das egal, der Ostpreuße war froh, mit einem Pferdegespann – wie
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