Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen
Himmel, gleichgültig gegenüber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kühl. »Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.«
Simcox grinste hinter dem Jungen her, der ächzend unter Deck verschwand. »Gehen Sie nicht ein bißchen hart mit ihm um, James?«
Tyacke zuckte mit den Schultern. »Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren läßt er Männer an der Gräting auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.«
»Der Wind räumt«, rief Jay, der zweite Gehilfe.
»Geht höher ran. Setzt die Marssegel und dann ab mit Vollzeug.« Unter Deck hörte man Scherben klirren. Jemand erbrach sich.
»Den kleinen Affen bringe ich noch mal um«, murmelte Tyacke.
»Was halten Sie von Bolitho?« fragte Simcox, um ihn abzulenken.
Der Kommandant hielt sich fest und beugte sich vor, als eine See über Deck rauschte. In dem schäumenden, gurgelnden Wasser standen seine halbnackten Männer und grinsten einander zu. Niemand von denen würde über Bord gehen.
»Ein guter Mann, ganz bestimmt.« Tyacke erinnerte sich an die Hurrarufe, als Bolithos Schiff in die Schlacht eingegriffen hatte.
»Ich kannte viele, die unter ihm gedient haben. In Dover gab’s noch einen alten Mann, der unter Bolithos Vater kämpfte, als der seinen Arm verlor. In Dover war ich zu Hause, und da ist auch dieser Schoner gebaut.«
Simcox musterte das scharfe Profil seines Kommandanten. Ein Mädchen, das den Leutnant nur von dieser Seite sah, hätte sich leicht in ihn verlieben können.
»Erzählen Sie dem Admiral von diesem alten Mann?«
Tyacke wischte sich Wasser von Gesicht und Hals. »Wie denn? Er ist doch Admiral!«
Die
Miranda
jagte unter vollem Tuch durchs Wasser, daß der Schatten ihrer Segel wie eine riesige Flosse über die Wellen flog. Trotzdem lag sie leicht auf dem Ruder. Sie war als Paketboot in Dover gebaut worden, aber schon nach den ersten Fahrten von der Royal Navy requiriert worden. Siebzehn Jahr später segelte sie noch immer unter der Kriegsflagge, ein sehr lebendiges Schiff, das hoch an den Wind ging wegen seines einfachen Segelrisses und seines tiefen Kiels. Er verhinderte, daß sie zuviel Abdrift machte wie manche größeren Schiffe. Mit ihren vier Vierpfündern und zwei Karronaden war sie als Kurier gebaut, nicht für Gefechte. Eine einzige Breitseite von einer Fregatte hätte sie in ein Wrack verwandelt.
Zwischen den Decks hing der kräftige Duft nach Rum und Tabak und der fette Geruch des Mittagessens. Als sich die Wache um den Messetisch versammelte, saßen Simcox und Tyacke in der Kajüte. Dieser Raum war so niedrig, daß sich die beiden großen Männer darin nur gebückt bewegen konnten.
Der Midshipman saß ihnen beschämt und ängstlich am anderen Ende gegenüber. Er tat Simcox leid. Schon der Gedanke an Essen bei diesem Seegang mußte seinen Magen aus dem Gleichgewicht bringen.
Plötzlich sagte Tyacke: »Sollte ich doch mit dem Admiral zusammentreffen, werde ich ihn um Bier für uns bitten. Ich habe gesehen, daß einige Soldaten auf dem Flaggschiff Bier tranken – warum also nicht auch wir? Das Wasser bringt hier sicherlich mehr Leute um als die Holländer.«
Beide sahen überrascht auf, als Segrave sich meldete: »In London wurde viel über Vizeadmiral Bolitho geredet.«
»Und was bitte?« fragte Tyacke mit täuschend freundlicher Stimme.
Segrave vergaß seine Seekrankheit und gab bereitwillig Auskunft. »Meine Mutter meinte, er hat sich unmöglich benommen. Unmöglich! Wie konnte er nur seine Frau wegen dieser Kokotte verlassen? Ganz London empört sich darüber.« Weiter kam er nicht.
»Wenn Sie das vor der Mannschaft sagen, werde ich Sie unter Arrest stellen und in Eisen legen lassen, junger Mann«, drohte Tyacke. Aber Simcox war sicher, daß die Freiwache trotzdem jedes Wort gehört hatte. Warum erregte sich der Kommandant so?
Tyacke beugte sich vor. »Und wenn Sie hier solchen Schwachsinn noch einmal sagen, werde ich Sie zum Duell fordern, egal wie jung und nutzlos Sie sind.«
Segrave wurde blaß. Simcox legte Tyacke eine Hand auf den Arm. »Ruhe, Ruhe. Woher soll’s der Junge wissen?«
Tyacke schüttelte seine Hand ab. »Verdammt noch mal, Ben, was wollen diese Leute eigentlich?« Er wies mit dem Zeigefinger auf Segrave. »Wieso dürfen sie Männer verurteilen, die jede Stunde, jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, damit andere in Ruhe und Frieden daheim
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