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Max Perplex

Max Perplex

Titel: Max Perplex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hen Hermanns
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mich schon lange ein wichtiges Ritual, meine stärkste Waffe gegen depressive Sonntagnachmittage und -abende. Und gleichzeitig ein Protest gegen den unsäglichen deutschen Journalismus, der nicht mal in der Lage war, eine vernünftige, wirklich lesbare Sonntagszeitung zu produzieren. Der >Independent< war immer voll mit Hintergrundberichten, skurrilen Nebensächlichkeiten, phantastischen Kochrezepten, großartigen Fotos und jeder Menge allerfeinster Literaturkritik. Im »Independent« hatte ich zum ersten Mal von Julian Barnes, Martin Amis, Paul Auster und vielen anderen Autoren erfahren und die Bücher längst im Original gelesen, bevor die deutschen Feuilletonschnarchnasen und Kulturbeutel überhaupt in der Lage waren, die Namen zu buchstabieren. Aber was soll man auch schon anderes von einem Menschenschlag erwarten, der in Ekstase gerät, wenn Peter Handke über ein kaltes Untertäßchen auf seinem Balkon meditiert. Die Deutschen brachten es einfach nicht. Sie wußten noch nicht mal, wie man eine Rolltreppe benutzt, ohne seinen Mitmenschen fett und plump im Weg zu stehen. Nur mit roten Ampeln, da kannten sie sich aus, da waren sie absolut kompromißlos.
    »Haben Sie nicht gesehen, daß da Kinder stehen?« fuhr mich so ein Musterexemplar an, »da können Sie doch nicht einfach bei Rot rübergehen.«
    »Das finde ich unverantwortlich«, klagte die dämliche Kuh, die sich bei dem Kerl eingehakt hatte, und glotzte besorgt auf ihren Nachwuchs. »Sind Sie doch froh, daß Ihre Pänzen noch kein Crack nehmen«, blaffte ich zurück, »bei solchen Eltern werden die das bald brauchen.«
    Die Kleinfamilie sah mich an, als hätte ich einen Goldhamster zu Tode gefoltert. Ich ließ sie stehen und ging weiter. Wie diese Typen angezogen waren! Alle vier in Jogginganzügen. Dick, feist und grellbunt, die neue Skrupellosigkeit. Wenn dir jemand auf den Schädel schlägt, kannst du ihn anzeigen, kannst dir einen Anwalt nehmen, kannst Schmerzensgeld verlangen. Aber wenn er einen Jogginganzug in Leuchtfarben trägt oder weiße Socken mit Sandalen, dann kannst du nichts machen. Manchmal wünschte ich mir eine Art Gestaltungspolizei, eine Design-Gestapo, die mitten in der Nacht die Produzenten dieser unglaublichen
    Geschmacksentgleisungen verhaften würde. Sie würden dann Berufsverbot kriegen oder müßten in einer Besserungsanstalt alles über gutes Design lernen. Das Schlimme an den Spießern ist, daß sie dich selbst zum Spießer machen. Ich ging durch das Eigelsteinviertel, in dem das volle Veedels-Leben tobte. In einer Kneipe mit dem schönen Namen >Vogel< tobte es besonders laut und verlockend. Ich ließ den Indy erst mal Indy sein und stürzte mich hinein. Auf einer Schiefertafel stand zu meinem Erstaunen, daß hier sogar Würzburger Hofbräu ausgeschenkt wurde. Da konnte ich mich ja sozusagen schon mal einstimmen. Ich schüttete das erste einfach gegen Zorn und Durst herunter, ohne viel davon zu schmecken. Das zweite trank ich langsamer, wobei ich schnell zum Schluß kam, daß das auch mein letztes bleiben würde. Wenn diese Stadt so war wie ihr Bier, dann fragte ich mich, wie man da unbeschadet leben konnte.
    Ich orderte schnell ein Kölsch. Der Mann hinter der Theke reagierte mit einem wissenden Grinsen, das ungefähr so viel hieß wie »datt han isch mir jedaacht«.
    Ich blieb jetzt bei Kölsch, und während mein Deckel sich mit Strichen füllte, führte ich mir ein paar taoistische Grundregeln ins Gedächtnis zurück. Ich hatte einen Job, aber ich war nicht mein Job. Ich hatte eine Beziehung, aber ich war nicht meine Beziehung. Ich respektierte mich selbst und das Leben. Ich harmonisierte mit der Natur und mit allen Menschen in der Welt. Davon stimmte aber nun auch gar nichts. Ich versuchte es mit einer anderen Regel, und die funktionierte dann: Suche die Einfachheit und greife zum Wesentlichen. Ich griff mir ein frisches Glas Kölsch und trank es einfach aus und versuchte, an nichts, aber auch rein nichts zu denken.

10.

    Als ich am Montagmorgen aufwachte, fühlte ich mich zu schlapp, zu dick und zu festgefahren. Ich stand auf und sah aus dem Fenster. Draußen war es dunkel, zu naß und offensichtlich auch zu kalt. Ich zog mir die Laufklamotten an. Als ich mich bückte, um die Nikes zuzuschnüren, schlug er zu. Schon beim ersten Schlag ging mir fast die ganze Kraft aus. »Laß es sein!« sagte er, »leg dich wieder hin! Im Bett ist es schön warm!«
    Ich packte ihn an beiden Handgelenken, so daß er vor Schmerz aufschrie

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