Max Weber (German Edition)
Musterbeispiel seines höchst problematischen historischen und methodologischen Vorgehens, das (heutigen) wissenschaftlichen Standards an Objektivität, Reliabilität und Validität nicht entspricht. Die inzwischen nachgewiesenen zahlreichen historischen Fehler, die Vielzahl seiner großenteils falsch zitierten und höchst suggestiv und selektiv zusammengestellten «Belege», insgesamt: seine Schlamperei im Umgang mit den umfangreichen Exzerpten aus Arbeiten anderer und seine unlogische, teilweise geradezu abenteuerliche Konstruktion, zusammen mit der suggestiven und metapherngeladenen Rhetorik produzieren eine ebenso große wie fragwürdige Erzählung. Oder eindeutiger formuliert: «Max Webers aparte Idee, Kapitalismus zu der unbeabsichtigten Nebenfolge von religiöser Weltabgewandtheit zu machen, ist zwar hübsch, aber historisch falsch.» (Heinz Steinert) Die Ergebnisse jahrzehntelanger historischer Forschungen zeigen, dass die weltberühmte «Weber-These» in so gut wie fast allen Einzelheiten und als Gesamtaussage als widerlegt gelten muss. Die zumeist benutzte Kurzfassung dieser These, dass Religiosität – vor allem protestantische – gut für die Arbeitsdisziplin sei, aus der, bei bescheidener Lebensführung, kapitalistischer Wohlstand entstehe, und dass der europäisch-amerikanische Okzident durch seine (Zweck-)Rationalität in Gestalt von «modernem», rationalem Betriebskapitalismus und bürokratischer Herrschaft dem Rest der Welt überlegen sei, muss als pure Ideologie charakterisiert werden, die auf keiner soliden wissenschaftlichen Grundlage ruht.
Jedoch, ob man diese Texte nun aus psycho-biographischer Perspektive als Dokumente einer versuchten Selbstheilung von einer schweren psychopathologischen Erkrankung an Vereinsamung (Hartmut Lehmann) und sexuellen Nöten (Joachim Radkau) zu entlarven sucht oder als bourgeoise Kampfschrift des «Kulturprotestantismus» aus der Verfallsgeschichte des deutschen Liberalismus charakterisiert (Heinz Steinert), sie lässt sich bis heute keineswegs in das Archiv historischer Kuriositäten verbannen. Die in ihr formulierte große Erzählung lautet: Einige jener Ideen, die radikale Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts auf der Suche nach einigermaßen verlässlichen Zeichen Gottes für ihre Erlösung von der ewigen Verdammnis entwickelten, wirkten entscheidend mit am Bau einer Welt von Glaubensinhalten und Verhaltensweisen. Dieser Gedankenkosmos seinerseits trug dazu bei, ganz allmählich jene Gehäuse der Hörigkeit und Unfreiheit des Menschengeschlechts auf dem ganzen Globus zu installieren, die man unter der Überschrift «moderner Kapitalismus» zusammenfassen kann.
V Der Hunger nach sozialen Tatsachen und Theorien. Der «Objektivitäts»-Aufsatz
Bislang standen jene Texte Max Webers im Vordergrund, die sich mit Auswirkungen und Ursachen des Kapitalismus befassten. Doch Weber besaß darüber hinaus die große Fähigkeit, sich prinzipiell und selbstkritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie ein Wissenschaftler Aussagen erzeugt, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Marianne Weber vereinte die meisten der einschlägigen Gelegenheitsarbeiten 1922 in einem Sammelband, der den pompösen Titel Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre trägt. Der Eindruck, Max Weber habe eine in sich stimmige «Wissenschaftslehre» vorgelegt, geht an den Realitäten vorbei. Erschwerend für das heutige Verständnis ist die Tatsache, dass gerade die Weber’schen Arbeiten zur Methodologie der (Sozial-)Wissenschaften stark mit ihrem historischen Hintergrund verbunden sind. Eine Reihe von Texten waren Auftragsarbeiten, vornehmlich kritische Besprechungen anderer zeitgenössischer Autoren, zudem standen diese Diskussionen und Kontroversen in philosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhängen, aktuellen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und wissenschaftspolitischen Entwicklungen, wie die Formation und allmähliche Institutionalisierung der Sozialwissenschaften – darunter vor allem der Soziologie.
Insgesamt glaubte der ausgebildete Jurist Weber, der mit der Methode der Begriffsjurisprudenz vertraut war, unter Einbeziehung der Methodendiskussionen in Nationalökonomie und Geschichtswissenschaft und der erkenntnistheoretischen Ansätze des Neukantianismus die methodologische und wissenschaftstheoretische Grundlage für eine eigenständige Sozialwissenschaft gefunden zu haben. Als publizistische Plattform für die Verbreitung seiner Ideen diente
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